Sintflut
hier vor?« fragte Zagloba. »Vielleicht bringt man uns Hilfe.«
»Ich weiß nur eins, daß da etwas Ungewöhnliches vorgeht,« antwortete Wolodyjowski. »Helft mir, ich werde zum Fenster hoch klettern und bald erfahren, was sich dort ereignet.«
Pan Skrzetuski nahm Wolodyjowski unter die Arme und hob ihn wie eine Feder hoch. Pan Michail erfaßte das Gitter und sah zum Hofe hinaus.
»Ja, ja!« rief er plötzlich. »Ich sehe das ungarische Banner, das Oskierka befehligte. – Er war sehr beliebt bei seinen Soldaten, und ihn hat man auch verhaftet. – Sie sind wohl gekommen, um nach ihm zu fragen. Mein Gott, sie machen sich kampfbereit, Leutnant Stachowicz, Oskierkas Freund, ist mit ihnen.«
Der wüste Lärm dort unten verstärkte sich mehr und mehr.
»Ganchoff reitet zu ihnen – er spricht mit Stachowicz. – Stachowicz und zwei andere Offiziere treten aus den Reihen heraus, sie scheinen als Delegierte zum Hetman zu wollen. Bei Gott, der Aufstand vergrößert sich. Man hat den Ungarn Kanonen entgegengestellt, und das schlesische Regiment steht in Schlachtordnung.«
»Pan Michail,« fragte Zagloba, »hat der Fürst viele polnische Banner zur Verfügung?«
»Vier Regimenter sind hier in Kiejdane, dazu kommen noch die Artillerie-Regimenter von Pan Korf. Zwei andere Banner stehen zwei Marschtage von hier entfernt.«
»O weh! Das ist ziemlich viel.«
»Dann hat er noch das großartig ausgerüstete Banner Kmicic'! – Sechshundert Mann.«
»Und mit wem hält es Kmicic?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ach, Kmicic, Kmicic, alles hängt von dir ab! Ist er denn ein kühner Soldat?«
»Wie der Teufel ist er, zu allem bereit.«
»Dann gibt's doch nicht viel zu überlegen; natürlich steht er zu uns.«
»Wartet mal, da geht was Neues vor sich; ein Teil von Charlamps Dragonern ist zu den Ungarn übergegangen.«
»Gebt die Obersten heraus! Die Obersten!« lärmten auf dem Hofe drohende Stimmen.
Plötzlich hörte man von hinter dem Schlosse her eine kurze Salve.
»Jesus Maria!« schrie Wolodyjowski.
»Was ist das?«
»Wahrscheinlich erschoß man soeben Stachowicz und die beiden Offiziere,« sagte Wolodyjowski schwer atmend.
»Beim Heiland! Dann brauchen wir nicht auf Barmherzigkeit zu rechnen.«
Eine neue Salve übertönte Zaglobas Worte. Pan Michail hielt sich krampfhaft am Gitter fest und preßte das Gesicht gegen die Scheibe.
»Die Ungarn verbergen sich hinter der Mauer und schießen von dort aus. Es sind großartige Soldaten, bei Gott! Auch ohne ihre Offiziere wissen sie, wie sie handeln müssen. – Alles ist in Pulverdampf gehüllt, nichts zu sehen.«
Die Schüsse wurden allmählich schwächer.
»Nun, was ist jetzt?« fragte Skrzetuski.
»Die Schotten attackieren!«
»Donner und Blitz! Und wir müssen hier sitzen!« schrie Zagloba.
»Da, die Ungarn empfangen sie mit blanken Säbeln.«
»Anstatt gegen den Feind zu ziehen, kämpfen sie miteinander.«
»Die Ungarn gewinnen die Oberhand! Die Schotten ziehen sich zurück. – Mieleszkas Dragoner gehen zu den Ungarn über! – Die Schotten stehen zwischen zwei Feuern. – Charlamp fällt, jedoch ist er nur verwundet. – Die Tore zum Schloßhof werden geöffnet. – Dichte Staubwolken ergießen sich in den Hof. – Kmicic! Kmicic mit seiner Reiterei sprengt durch das Tor!«
»Verloren!« schrie plötzlich durchdringend Wolodyjowski auf.
»Wer hat verloren? Wer?«
»Die Ungarn. – Kmicic' Reiterei hat sie geschlagen, Kmicic hat die ungarische Fahne in seinen Händen. Nun ist alles verloren, alles!«
Pan Michail glitt vom Fenster herunter.
»Schlagt mich!« rief er, »schlagt zu! Diesen Menschen hatte ich in meinen Händen, und ich schenkte ihm das Leben. Ich selbst habe ihm den Befehl des Fürsten ausgehändigt. Mir verdankt er es, daß er das Banner zusammenrufen konnte, mit dem er jetzt gegen das Vaterland kämpfen wird. Zu dir, Gott, rufe ich, dieses Verräters wegen laß mich leben; er soll mir ein zweites Mal nicht lebend aus meinen Händen kommen.« – –
2. Kapitel.
Pan Michail hatte recht gesehen: Kmicic triumphierte, und die Ungarn und die Dragoner bedeckten mit ihren Leichnamen dicht den Schloßhof von Kiejdane. Nur wenigen war es möglich gewesen zu entkommen. Den größeren Teil der Flüchtlinge holte die Reiterei ein; der Rest kam erst wieder zu sich, als er im Lager Sapiehas, des Witebsker Wojewoden, anlangte und nach dort die Nachricht von Radziwills schrecklichem Verrat und dem Widerstand der Obersten brachte.
Mit Staub und Mut
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