Sintflut
ohne es sich merken zu lassen, jede ihrer Bewegungen, und mit gespanntester Aufmerksamkeit lauschte er auf das Rauschen ihres Kleides, und dies alles schmolz für ihn zu einem quälenden Genuß zusammen.
Nach einigen Minuten bemerkte er, daß auch sie ihn beobachtete. Es gelüstete ihn leidenschaftlich, sie anzusehen. – Da sitzt sie neben ihm mit ihrer klaren Stirn, ihren schönen Augen mit den halbgesenkten, dunklen Wimpern und ihrem blassen Gesicht, das für ihn so unendlich viel Anziehendes besaß. Sein Herz krampfte sich schmerzvoll zusammen. Konnte wirklich in dieser himmlischen Hülle eine unerbittliche Seele wohnen? Er sah noch einmal fragend zu ihr hin.
In diesem Augenblicke blickte Alexandra ihn auch an. Beider Blicke trafen sich; sie senkten äußerst verlegen ihre Augen, als wenn man sie auf irgend ein Verbrechen ertappt hätte.
Auch Panna Alexandra lag mit sich in schwerem Kampfe. Aus alledem, was vorgefallen war, aus Kmicic' Benehmen in Billewicze, aus Zaglobas und Skrzetuskis Worten hatte sie verstanden, daß Kmicic selbst ein Betrogener und keineswegs so schuldig war, daß sie ihn verachten und so schonungslos verurteilen durfte. Hatte er nicht jene braven Leute vom Tode errettet? War er nicht mit stolz erhobenem Haupte in den Tod gegangen, wiewohl es ihm ein Leichtes gewesen wäre, sich zu retten? Sie, als die Tochter eines tapferen Soldaten, schätzte die Todesverachtung höher als viele anderen Tugenden. Sie achtete aus ganzer Seele den Todesmut und konnte nicht genug die Kühnheit und den Stolz des jungen Ritters bewundern, den Stolz, den er bis zum letzten Atemzuge bewahren würde. – Sie begriff jetzt, daß, wenn er Radziwill diente, er es zweifellos nur tat, weil er seine Sache für die gute hielt. – War es nicht ungerecht, ihn des bewußten Verrates zu beschuldigen? Sie aber war die erste, die ihm diese Beleidigung ins Gesicht geschleudert hatte; sie hatte nicht damit gespart, ihm ihre Verachtung zu zeigen, und selbst angesichts des Todes hatte sie kein verzeihendes Wort für ihn.
»Mache deine Ungerechtigkeit gut!« flüsterte das Herz ihr zu. »Zwischen euch ist alles zu Ende; aber gestehe ihm, daß du ihn ungerecht verurteilt hast.«
Aber ihr Stolz und ihr Eigensinn ließen sie zögern. »Vielleicht liegt dem jungen Ritter gar nichts daran, von dir Genugtuung zu erhalten. Eine helle Röte ergoß sich bei diesem Gedanken über ihr Gesicht.
»Ob ihm was daran liegt oder nicht,« sprach das Gewissen, »du mußt ihm gerecht werden.«
Sie sah Kmicic an, ob nicht Reue auf seinem Gesichte zu bemerken wäre. Von Reue war nichts zu sehen. Dafür aber gewahrte Alexandra, daß das von Schmerz und Qualen entstellte Gesicht Pan Andreas' so bleich war wie nach einem langen Krankenlager. Er tat ihr unsagbar leid. Tränen traten in ihre Augen, und sie beugte sich über den Tisch, um ihre Verwirrung zu verbergen.
Allmählich begann es auf dem Bankett lebhafter zuzugehen. Das Gefühl der Beklommenheit, das zuerst alle Gäste beherrschte, begann zu weichen. Der Met und die starken Weine taten das ihre; eine allgemeine Heiterkeit herrschte im Saale.
Der Fürst erhob sich von seinem Platze.
»Verehrte Anwesende, ich bitte ums Wort!«
»Der Fürst will sprechen!« riefen mehrere Stimmen.
»Ich schlage vor, den ersten Toast auf die Gesundheit Seiner Majestät des schwedischen Königs zu trinken. Karl-Gustav wird uns helfen, das Land von allen Feinden zu befreien, bis überall Ruhe und Frieden eintritt. Ich bitte, liebe Gäste, stehen Sie auf; wir wollen diesen Becher stehend leeren!«
Man erhob sich und trank den Becher aus, aber ohne Enthusiasmus, ohne Vivatrufe.
Als der Fürst ein zweitesmal sein Glas erhob, trank er auf das Wohl seiner teuren Gäste, die sich um ihn versammelt hatten, um ihm ihren Glauben an die Gerechtigkeit seiner Sache zu bekunden.
Laute Rufe: »Wir danken, wir danken von ganzem Herzen! Die Gesundheit des Pan-Fürsten! Er lebe!« folgten diesem Toaste.
Ein etwas angeheiterter Ritter schrie aus Leibeskräften:
»Es lebe Janusz der Erste, der Großfürst von Litauen!«
Radziwill errötete bei diesen Worten wie ein Mädchen unter der Traukrone; als er bemerkte, daß die Anwesenden schwiegen, sagte er:
»Ja, auch das steht in eurer Macht; aber Sie bedenken mich mit dieser Würde viel zu früh, Pan Jurzyc, – viel zu früh!«
»Es lebe Janusz der Erste, der Großfürst von Litauen!« wiederholte mit der Beharrlichkeit eines Trunkenen Pan Jurzyc.
Da erhob sich Pan
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