Sinuhe der Ägypter
bereitstand. Aber bevor ich mich entfernte, sprach ich zum König: »Du wirst mich nun dreißig Tage lang nicht zu sehen bekommen. In der Zeit, da ich die Leiche einbalsamiere, kann ich mich keinem Menschen zeigen, damit ich nicht andere mit den Teufeln, die jene umschwärmen, in Berührung bringe.« Burnaburiasch lachte: »Dein Wille geschehe. Und solltest du dich etwa trotzdem zeigen, so werde ich dich durch meine Diener mit Stöcken wegjagen lassen, damit du mir keine bösen Geister in den Palast bringst.« In der Sänfte aber machte ich ein Loch in den noch weichen Lehm, mit dem der Krug verschlossen war, um Kaptah das Atmen zu ermöglichen. Darauf kehrte ich insgeheim in den Palast zurück und begab mich in das Frauenhaus, wo die Eunuchen sich sehr über mein Kommen freuten, weil sie jeden Augenblick das Erscheinen des Königs befürchteten.
Doch kaum hatte ich die Tür des Zimmers, in das ich Minea eingeschlossen, geöffnet, kehrte ich mich schon um, raufte mir das Haar und rief laut jammernd: »Kommt und seht, was sich zugetragen! Da liegt sie tot in ihrem Blut und neben ihr das blutbefleckte Messer, und auch ihr Haar ist voll Blut.« Die Eunuchen kamen gelaufen, entsetzten sich beim Anblick des Blutes und wagten nicht, den Körper anzurühren, weil Eunuchen sich vor Blut fürchten. Sie brachen in Tränen und Klagen aus und ängstigten sich vor dem Zorn des Königs. Ich aber sagte:
»Nun befinden wir uns in der gleichen mißlichen Lage, ihr wie ich. Holt daher rasch einen Teppich, in den ich die Leiche einwickeln kann, und wascht das Blut vom Boden, damit niemand etwas von dem Vorgefallenen erfahre. Der König versprach sich viel Vergnügen von diesem Mädchen, obgleich er es noch nicht gesehen hat, und er wird in furchtbaren Zorn ausbrechen, wenn er erfährt, daß wir ungeschickt genug waren, sie so sterben zu lassen, wie ihr Gott von ihr verlangte. Beeilt euch, an Stelle der Toten ein anderes Mädchen herbeizuschaffen, und zwar am besten eines aus fernem Lande, das eure Sprache nicht versteht! Kleidet und schmückt es dann für den König. Sollte es sich jedoch widerspenstig zeigen, so prügelt es vor den Augen des Königs mit Stöcken; denn das ist ihm besonders wohlgefällig, und er wird euch reichlich dafür belohnen.«
Die Eunuchen sahen die Weisheit meiner Worte ein, und nachdem ich eine Zeitlang mit ihnen gefeilscht hatte, gab ich ihnen die Hälfte des Silbers, das nach ihrer Behauptung ein neues Mädchen kostete, obwohl ich ganz gut wußte, daß sie mir dieses Silber stahlen, weil sie natürlich das neue Mädchen für Silber des Königs kauften und auch dabei wiederum stahlen, indem sie den Verkäufer einen höheren Preis als den wirklich bezahlten auf die Lehmtafel schreiben ließen. So ist es stets und in der ganzen Welt unter Eunuchen üblich gewesen, und es wird auch so bleiben. Aber ich wollte nicht mit ihnen streiten. Sie brachten mir den Teppich, in den ich Minea einwickelte, und halfen mir, sie über dunkle Höfe zur Sänfte tragen, wo Kaptah in seinem Krug lag.
So verließ ich Babylon bei Nacht und Nebel als ein Flüchtling und verlor dabei viel Gold und Silber, während ich mich doch hätte bereichern und mir noch viele Kenntnisse erwerben können. Die Träger murrten: »Wer ist dieser Mann, der uns zwingt, ohne Fackeln durch die finstere Nacht zu gehen, und unsere Sänfte mit Totenurnen und königlichen Teppichen belädt, so daß wir wie Ochsen unter dem Joch unseren Nacken beugen und unsere Schultern durch Tragstangen wundscheuern lassen müssen? Wahrlich, unsere Leber ist schwarz vor Angst, da wir Leichen durch die Nacht schleppen müssen und uns aus dem Teppich Blut ins Genick tropft. Das alles wird er uns teuer bezahlen müssen.«
Am Ufer angelangt, hieß ich sie den Leichenkrug ins Boot hinunterheben, während ich selbst den Teppich hinabschleppte und unter Deck verstaute. Zu den Trägern gewandt, sagte ich dann: »Ihr Sklaven und Hundesöhne! Wenn euch jemand ausfragen sollte, so habt ihr heute nacht nichts gehört und nichts gesehen! Dafür erhält jeder von euch ein Silberstück.« Sie tanzten vor Freude und riefen: »Wahrlich, wir haben einem vornehmen Herrn gedient! Aber unsere Ohren sind taub und unsere Augen blind; daher haben wir heute nacht nichts gehört und nichts gesehen.« Ich ließ sie laufen, obgleich ich wußte, daß sie sich, wie die Träger aller Länder und aller Zeiten, betrinken und im Rausch alles, was sie gesehen und gehört, ausplappern würden. Aber ich
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