Sinuhe der Ägypter
er sprach zu mir:
»Sinuhe, wir kennen dich und haben deine Laufbahn verfolgt und wissen daher, daß du den falschen Pharao von Herzen liebst und daß auch sein falscher Gott dir nicht so fremd geblieben ist, wie wir es gewünscht hätten. Ich aber versichere dir, daß sein Gott in keiner Hinsicht unserem Ammon überlegen ist; denn der Haß des Pharao und seine Verfolgungen haben Ammon geläutert und stärker als je gemacht. Doch will ich mich dir gegenüber nicht auf göttliche Dinge berufen, sondern zu dem Menschen in dir sprechen, der Arme umsonst geheilt hat und als Ägypter das schwarze Land mehr liebt als die roten Lande. Deshalb sage ich dir: Pharao Echnaton ist ein Fluch für das arme Volk und ein Verderben für ganz Ägypten; er muß gestürzt werden, bevor das Böse, das er anstiftet, einen solchen Umfang annimmt, daß es nicht einmal mehr durch Blut gutzumachen ist.«
Ich trank von seinem Wein und sagte: »Die Götter sind mir gleichgültig, und ich habe sie alle satt bekommen! Aber der Gott Pharao Echnatons ist anders beschaffen als alle bisherigen Götter; denn es gibt kein Bildnis von ihm, und alle Menschen, auch der Arme und der Sklave und der Fremde, sind gleichwertig vor ihm. Deshalb glaube ich, daß ein Weltjahr zu Ende geht und ein neues im Entstehen begriffen ist, und darum kann selbst das Unglaubliche, jeder menschlichen Vernunft Widersprechende geschehen. Noch zu keiner Zeit hat es eine so günstige Gelegenheit gegeben, alles zu erneuern und die Menschen zu Brüdern zu machen.«
Hrihor hob abwehrend die Hand und sagte lächelnd: »Wie ich merke, träumst du mit wachen Augen, Sinuhe, obwohl ich dich für einen vernünftigen Mann hielt. Meine Ziele sind geringer als die deinigen. Ich wünsche nur, daß alles wieder wie früher sei, daß auch der Arme sein Maß voll bekomme und die Gesetze eingehalten werden. Ich wünsche bloß, daß jedermann in Sicherheit seinen Beruf ausüben und glauben darf, was ihm selbst beliebt. Ich wünsche, daß alles, was das Leben weiterführt, erhalten bleibt – wie der Unterschied zwischen dem Sklaven und seinem Besitzer, zwischen dem Diener und dem Herrn. Ich will, daß die Macht und die Ehre Ägyptens unangetastet bestehen bleiben und die Kinder in einem Lande geboren werden, wo jeder seinen gegebenen Platz und seine im voraus bis zum Tod vorgeschriebene Aufgabe hat und keine eitle Unruhe an irgendeines Menschen Herzen zehrt. Das alles ersehne ich, und deshalb muß Pharao Echnaton fallen.«
Er berührte mit bittender Gebärde meinen Arm, beugte sich vor und sagte: »Du, Sinuhe, bist ein fügsamer, sanftmütiger Mann, der niemandem übel will. Wir leben aber in einer Zeit, da jeder sich entscheiden muß und keiner dieser Wahl entgehen kann. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns und wird eines Tages dafür leiden müssen. Denn du bist wohl nicht so einfältig, zu glauben, daß seine Macht noch lange währt. Es ist mir gleichgültig, welchen Göttern du dienst oder ob du überhaupt Götter hast; Ammon kommt ohne deinen Glauben gut aus. In deiner Macht, Sinuhe, aber steht es, Ägypten von dem Fluche zu befreien, der auf ihm lastet. In deiner Macht steht es, Hunger und Elend und Unruhe aus dem schwarzen Lande zu bannen. In deiner Macht steht es, Ägypten seine einstige Kraft und Geltung wiederzugeben.«
Seine Worte beunruhigten mich. Deshalb trank ich wieder von seinem Wein, und das süße Aroma der Myrrhe füllte mir Mund und Nase. Ich zwang mich zu einem Lachen und erwiderte: »Du bist gewiß von einem tollen Hund gebissen oder von einem Skorpion gestochen worden! Ich besitze wahrlich keine große Macht; ich vermag ja nicht einmal Kranke so gut zu heilen wie du!«
Er erhob sich und sagte: »Ich will dir etwas zeigen.« Er nahm eine Lampe, führte mich in einen Gang, öffnete eine mit vielen Schlössern versehene Tür und leuchtete in eine Zelle, die von Gold und Silber und Edelsteinen funkelte und sprühte und mit mannshohen Goldgefäßen angefüllt war. Er sagte: »Fürchte dich nicht! Ich beabsichtige durchaus nicht, dich durch Gold zu versuchen. So dumm bin ich nicht. Aber es schadet vielleicht nicht, wenn du siehst, daß Ammon immer noch reicher als der Pharao ist. Nein, mit Gold will ich dich nicht verleiten; hingegen will ich dir etwas anderes zeigen.«
Er öffnete noch eine zweite Kupfertür und leuchtete mit der Lampe in eine kleine Zelle, wo auf einem steinernen Lager ein Wachsbild ruhte, die Doppelkrone auf dem Haupt, Brust und Schläfen von spitzen
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