Sinuhe der Ägypter
gereizt und deine Rede Öl auf mein Feuer gegossen. Sende daher ein altes, häßliches Klageweib, damit ich sie nicht in meiner Aufregung verführe und Schande über das Trauerhaus bringe.«
Sie schüttelte vorwurfsvoll das Haupt und sagte: »Sinuhe, Sinuhe, schämst du dich gar nicht, solche Tollheiten zu äußern? Wenn du auch, wie man behauptet, die Götter nicht fürchtest, solltest du doch Ehrfurcht vor dem Tod empfinden.« Aber da sie ein Weib war, fühlte sie sich keineswegs durch meine Rede verletzt, sondern ging eine Hofdame suchen, die bei der Leiche ihrer Mutter weinen sollte, bis die Träger aus dem Haus des Todes einträfen.
Ich verfolgte mit meiner gottlosen Rede beim Leichnam der Toten eine bestimmte Absicht und erwartete ungeduldig die Hofdame. Diese kam und war älter und häßlicher, als ich zu hoffen gewagt; denn im Frauenhaus der königlichen Mutter lebten immer noch die Gemahlinnen ihres verstorbenen Gatten sowie die Frauen des Pharao Echnaton mit ihren Ammen und Hofdamen. Trotz ihrer Häßlichkeit hieß diese Hofdame Mehunefer, und ihrem Gesicht sah ich an, daß sie Männer und Wein liebte. Beim Anblick der Leiche der großen königlichen Mutter begann sie pflichtgemäß zu weinen, zu schluchzen und sich das Haar zu raufen. Inzwischen holte ich Wein, und nachdem sie eine Zeitlang geweint hatte, willigte sie ein zu trinken, da ich ihr als Arzt die Versicherung gab, daß es ihr in ihrer großen Trauer nicht schaden würde. Während sie trank, begann ich ihr zuzusetzen, indem ich von ihrer früheren Schönheit sprach. Auch führte ich die Rede auf Kinder und erzählte ihr von den kleinen Töchtern des Pharao, bis ich mich schließlich dumm stellen und fragen konnte:
»Ist es wirklich wahr, daß die große königliche Mutter die einzige unter den Gemahlinnen des verewigten Pharao war, die ihm einen Sohn gebar?«
Mehunefer warf einen erschrockenen Blick auf die Tote und schüttelte das Haupt, um mich am Weiterreden zu hindern. Deshalb fuhr ich fort, eine Menge schöner und schmeichelhafter Worte über ihr Haar, ihre Kleider und ihren Schmuck zu äußern. Auch von ihren Augen und Lippen sprach ich, bis sie das Weinen ganz vergaß und mich entzückt betrachtete. Denn solche Worte glaubt eine Frau immer, selbst wenn sie weiß, daß sie nichts mit der Wahrheit zu tun haben; und je älter und häßlicher eine Frau ist, um so fester glaubt sie daran, weil sie eben glauben will. Auf diese Art wurden wir gute Freunde, und als die Träger aus dem Haus des Todes die Leiche fortgeschafft hatten, lud sie mich mit übertriebener Höflichkeit in ihre Gemächer in das Frauenhaus des Pharao ein, wo sie mir Wein vorsetzte und mit mir trank. Als sie schließlich angeheitert war, ließ sie ihrer Zunge immer freieren Lauf. Alle Dämme in ihr brachen, sie streichelte mir die Wangen, nannte mich einen schönen Jüngling und erzählte mir eine Menge Klatsch niedrigster Art aus dem Palast, um mich zu reizen. Sie gab mir auch zu verstehen, daß die große königliche Mutter sich öfters ganz offen mit ihren Negerzauberern ergötzt hatte, und meinte kichernd:
»Sie, die königliche Mutter, war ein unheimliches und fürchterliches Weib. Nach ihrem Tod atme ich erleichtert auf. Wahrlich, ich konnte ihren Geschmack nicht verstehen, wo es doch schöne und wohlriechende ägyptische Jünglinge mit brauner Haut und zartem Fleisch gibt!«
Sie schnupperte an meinen Schultern und Ohren; aber ich hielt sie von mir weg und fragte: »Die große Königin Teje war sehr geschickt im Binsenknüpfen, nicht wahr? Sie knüpfte kleine Binsenboote, nicht wahr, und ließ sie nachts den Strom hinunterschwimmen?« Sie war über meine Worte erschrocken und fragte: »Wie kannst du das wissen?« Aber der Wein ließ sie jede Vorsicht vergessen; sie bekam Lust zu prahlen und sagte: »Ich weiß aber noch mehr als du! Unter anderem weiß ich, daß mindestens drei neugeborene Knäblein in kleinen Booten wie die Kinder der Ärmsten stromabwärts fuhren; denn bevor ihr Eje in den Weg kam, fürchtete die alte Hexe die Götter und wollte ihre Hände nicht mit Blut besudeln. Erst durch Eje wurde sie zur Giftmischerin: So verschied die Prinzessin Tadukhipa von Mitani, während sie unter Tränen nach ihrem Sohn rief und auf der Suche nach ihm aus dem Palast flüchten wollte.«
»O schöne Mehunefer!« sagte ich und berührte mit den Händen ihre dick geschminkten Wangen. »Du nützest gewiß meine Jugend und Unerfahrenheit aus, um mir erdichtete Märchen
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