Sinuhe der Ägypter
sagte: »Ich hatte gewiß nicht die Absicht, das alles zu erzählen, und schade damit nur mir selbst; aber etwas in dir, ich weiß selbst nicht was, übt eine so starke Wirkung auf mich aus, daß mein Herz kein Geheimnis vor dir haben kann, Sinuhe. Deshalb gestehe ich, daß ich selbst die Binsen abschnitt, aus denen Teje ein Boot knüpfte; denn sie verließ sich nicht auf ihre Dienerschaft. Ich aber war durch ihre Zauberei und durch mein eigenes Tun an sie gebunden; denn in meiner törichten Jugendzeit hatte ich Handlungen begangen, derentwegen man mich ausgepeitscht und aus dem goldenen Haus vertrieben hätte, wenn sie bekanntgeworden wären. Doch wer von den Leuten im goldenen Haus hatte nichts Ähnliches begangen? Es lohnt sich daher nicht, dir heute davon zu erzählen. Jedenfalls hatte Teje mich an sich gefesselt, und ich watete ins Wasser hinaus und schnitt die Binsen ab, worauf sie im Dunkeln das Boot knüpfte und dabei vor sich hin lachte und gottlose Worte murmelte; denn sie war beglückt, die Prinzessin von Mitani auf diese Art zu besiegen. Ich aber beruhigte mein Herz mit der Hoffnung, daß sicherlich jemand das Kind finden werde, obwohl ich wußte, daß die Kinder, die in Binsenbooten den Strom hinabtreiben, entweder der Sonnenhitze erliegen oder von Krokodilen oder Raubvögeln gefressen werden. Die Prinzessin von Mitani gab sich jedoch nicht mit dem toten Mädchen zufrieden, das ihr die Zauberer hingelegt hatten; seine Hautfarbe und Kopfform waren anders als die ihrigen, und sie glaubte daher nicht, dieses Kind geboren zu haben. Die Haut der Frauen von Mitani ist nämlich glatt wie die Schale einer Obstfrucht, und ihre Farbe ist wie Rauch oder helle Asche, während ihre Köpfe klein und schön sind. Deshalb begann sie laut zu wehklagen und zu schluchzen, raufte sich das Haar und stieß Beschuldigungen gegen die Zauberer und gegen Teje aus, bis diese die Ärzte aufforderte, der Prinzessin, die allem Anschein nach vor Trauer über ihr totgeborenes Kind den Verstand verloren habe, Betäubungsmittel zu geben. Nach echter Männerart glaubte der Pharao mehr den Worten Tejes als denjenigen Tadukhipas. Alsdann begann Tadukhipa dahinzusiechen und starb. Doch hatte sie vor ihrem Tod wiederholt Fluchtversuche aus dem goldenen Haus unternommen, um ihren Sohn ausfindig zu machen, und deshalb glaubten alle, ihr Geist sei umnachtet.«
Ich betrachtete meine Finger und sah, daß sie neben den Affenhänden Mehunefers hell und sogar rauchfarben waren. Meine Erregung und Furcht waren so groß, daß ich ganz leise fragte: »Schöne Mehunefer, kannst du mir noch sagen, wann sich das alles zutrug?«
Sie streichelte mir mit ihren dunklen Fingern den Nacken und sagte schmeichelnd: »O schöner Knabe, warum vergeudest du deine Zeit auf solch alten Nichtigkeiten, wo du sie doch wahrhaftig besser ausnützen könntest! Aber da ich dir nichts abschlagen kann, will ich dir anvertrauen, daß all dies im dreiundzwanzigsten Regierungsjahr des großen Pharao geschah, und zwar im Herbst, als die Wasser am höchsten standen. Wenn du dich etwa wundern solltest, daß ich mich so genau daran erinnere, kann ich als Erklärung hinzufügen, daß Pharao Echnaton im selben Jahr geboren wurde, wenn auch erst im Frühling darauf, zur Saatzeit, als der Hundsstern aufgegangen war. Deshalb entsinne ich mich dessen so gut.«
Entsetzen lähmte mir alle Glieder, so daß ich mich nicht zu wehren vermochte und nicht einmal spürte, wie sie mit ihrem vom Wein nassen Mund meine Wangen berührte, wobei ihre Lippen und Wangen ziegelfarbene Flecken darauf hinterließen. Auch schlang sie den Arm um mich, drückte mich fest an sich und nannte mich ihren kleinen Stier und Täuberich. Ich verteidigte mich nur zerstreut; denn meine Gedanken wogten wie ein schäumendes Meer. In meinem Innern bäumte sich alles gegen diese furchtbare Erkenntnis auf; denn wenn Mehunefer die Wahrheit gesprochen hatte, floß in meinen Adern das Blut des großen Pharao, und ich war ein Stiefbruder des Pharao Echnaton und hätte vielleicht vor ihm Pharao werden können, wenn die Arglist Tejes die Liebe meiner verstorbenen Mutter nicht besiegt hätte. Ich starrte vor mich hin und glaubte zu verstehen, warum ich mich stets so einsam und fremd auf Erden gefühlt hatte; denn königliches Blut bleibt einsam unter den Menschen. Auch glaubte ich zu verstehen, warum mir im Lande Mitani so seltsam zumute gewesen war, als hätte der Schatten des Todes über diesem schönen und verfeinerten Land
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