Sinuhe der Ägypter
aufzubinden. Die Prinzessin von Mitani gebar doch keinen Sohn! Und wenn sie es wirklich tat, zu welchem Zeitpunkt wäre es dann geschehen?«
»Du bist durchaus nicht jung und unerfahren, Arzt Sinuhe!« sagte sie laut kichernd. »Deine Hände sind im Gegenteil heimtückisch und betrügerisch, deine Augen sind betrügerisch, am betrügerischsten aber ist dein Mund, der mir bittere Lügen ins Gesicht haucht. Doch haben dein Lügen in den Ohren einer alten Frau einen süßen Klang, und ich kann daher nicht unterlassen, dir ausführlich von der Prinzessin von Mitani zu erzählen, die zur großen königlichen Gemahlin hätte erhoben werden können – obgleich meine Worte, wenn Teje noch lebte, mir eine feine Schnur um den Hals ziehen könnten. Siehst du, Sinuhe, die Prinzessin Tadukhipa war ein kleines Mädchen, als sie aus dem fernen Land in das Frauenhaus des Pharao kam. Ja, sie war nur ein kleines, mit Puppen spielendes Mädchen, das im Frauenhaus des Pharao aufwuchs, ganz wie jene kleine Prinzessin, die mit Echnaton verheiratet wurde und ebenfalls starb. Und Pharao Amenophis berührte sie nicht, sondern liebte sie, wie man ein Kind liebt, beschäftigte sich mit ihren Puppen und schenkte ihr goldenes Spielzeug. Aber Tadukhipa wuchs zur Jungfrau heran; und als sie vierzehn Jahre zählte, war sie eine Schönheit mit zarten schlanken Gliedern, dunklen, in ferne Länder blickenden Augen und einer Haut gleich heller Asche, wie alle Frauen von Mitani sie besitzen. Da erfüllte der Pharao seine Pflicht gegen sie, wie er es, trotz aller Ränke Tejes, mit Wohlbehagen zahlreichen Frauen gegenüber tat; denn von solchen Dingen kann man einen Mann schwerlich abhalten, solange die Wurzeln seines Baumes noch nicht abgestorben sind. So begann denn ein Samenkorn als Zeichen für Tadukhipa zu keimen. Kurz darauf aber begann auch eines für Teje zu keimen; und Teje jubelte laut, weil sie bis dahin dem Pharao nur eine Tochter geboren hatte, und zwar die anmaßende und selbstbewußte Baketamon … ich meine natürlich Baketaton! Ich bin leider alt, daher verspricht sich meine Zunge leicht.«
Sie stärkte ihre Zunge mit einem Schluck Wein und fuhr dann mit großer Redseligkeit fort: »Jeder, der etwas weiß, ist jedoch unterrichtet, daß das Samenkorn Tejes aus Heliopolis stammte; aber man tut am besten daran, diese Geschichte nicht mehr zu erwähnen. Jedenfalls lebte Teje zur Zeit der Schwangerschaft Tadukhipas in schweren Ängsten und bemühte sich nach Kräften, diese zu unterbrechen, wie sie es bereits mit Hilfe ihrer Negerzauberer bei vielen Bewohnerinnen des Frauenhauses des Pharao getan hatte. Zwei neugeborene Knäblein hatte sie schon in vorangegangenen Jahren in Binsenbooten den Strom hinabgeschickt; aber das war weniger wichtig gewesen, weil sie die Söhne unbedeutender Nebenfrauen waren, die große Angst vor Teje hegten und sich, nachdem sie reichlich beschenkt worden waren, damit abfanden, ein Mädchen statt eines Knaben neben sich zu finden. Die Prinzessin von Mitani jedoch war eine gefährlichere Nebenbuhlerin, denn sie stammte aus einem königlichen Geschlecht und besaß Freunde, die sie beschützten und hofften, sie nach der Geburt eines Sohnes an Tejes Stelle zur großen königlichen Gemahlin erhoben zu sehen. Aber Tejes Macht war so groß und ihre Heftigkeit so erschreckend zur Zeit, da das Samenkorn für sie keimte, daß niemand sich ihr zu widersetzen wagte; und auch Eje, den sie aus Heliopolis mitgebracht, stand auf ihrer Seite. Als daher die Prinzessin von Mitani gebären sollte, wurden alle ihre Freunde von ihr entfernt, und die Negerzauberer umgaben sie, um, wie es hieß, ihre Qualen zu lindern. Als sie ihren Sohn zu sehen verlangte, zeigte man ihr ein totes Mädchen; aber sie schenkte Teje keinen Glauben. Auch ich, Mehunefer, weiß, daß sie einen Sohn gebar und daß dieser am Leben blieb, bis er noch in der gleichen Nacht in einem Binsenboot den Strom hinabfuhr.«
Ich lachte laut auf und fragte: »Wieso weißt gerade du das, schöne Mehunefer?« Sie ereiferte sich, goß sich beim Trinken Wein über das Kinn und fauchte: »Bei allen Göttern, ich habe ja mit eigenen Händen die Binsen gesammelt, weil Teje ihrer Schwangerschaft wegen nicht ins Wasser hinauswaten wollte!«
Ihre Worte entsetzten mich so, daß ich rasch auffuhr, den Wein aus meinem Becher zu Boden goß und ihn zum Zeichen meines Grauens mit dem Fuß in den Teppich rieb. Aber Mehunefer faßte mich bei den Händen, zog mich neben sich nieder und
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