Sinuhe der Ägypter
erfahren hatte, daß ich den Sternen mehr Glauben schenkte als meinen eigenen Kenntnissen.
Er hatte vom feinsten Wein der Berge mitgebracht, an dem wir unsere Herzen labten, und er versicherte, daß immer neue Zeichen und Vorboten im Turm des Marduk auf überzeugende Weise darlegten, daß ein Weltjahr allmählich zu Ende ging. Somit wußten er und ich, daß wir im Sonnenuntergang der Welt lebten, daß die Nacht im Anzug war, daß viele Umwälzungen bevorstanden und Völker von der Erdoberfläche weggefegt würden, wie es bereits mit den Mitani geschehen war, daß alte Götter sterben müßten, bis neue geboren würden, und daß ein neues Weltjahr bevorstand. Er fragte mich mit großer Wißbegierde über Aton aus und schüttelte sein Haupt und strich sich den weißen Bart, als ich ihm von diesem Gott erzählte. Denn von Aton gab es keine Bilder, vor ihm waren alle Menschen gleich, und er nährte sich nicht von Opfern, sondern von der gegenseitigen Liebe der Menschen, weil alle Menschen, welcher Hautfarbe und Sprache sie auch sein mochten, vor Aton Brüder waren und für ihn kein Unterschied zwischen Reichen und Armen, zwischen Edelleuten und Sklaven bestand.
Der babylonische Gesandte gab zu, daß ein solcher Gott sich noch nie zuvor auf Erden offenbart hatte und daß eben deshalb das Erscheinen Atons den Anfang vom Ende bedeuten konnte; denn noch nie zuvor hatte der Greis von einer so gefährlichen und schrecklichen Lehre reden hören. Er sagte, daß durch Atons Lehre der Fußboden zur Zimmerdecke werden und die Türen nach außen aufgingen und somit der Mensch auf dem Kopf stehe und rückwärts gehe. Vor seinen Kenntnissen und seiner Weisheit verstummte ich; denn er kam aus Babylon, der Wiege aller irdischen und himmlischen Weisheit, und ich verehrte ihn sehr und wollte vermeiden, daß er mich meiner Torheit wegen verachtete. Deshalb verriet ich ihm nichts von meinem Gedanken, daß das Erscheinen Atons und der Glaube des Pharao Echnaton vielleicht eine nie wiederkehrende Gelegenheit für alle Völker bedeute. Auch sah ich selbst die Eitelkeit dieses Gedankens ein, da ich mit von brennendem Pech versengten Händen und Knien und mit der Erinnerung an verstümmelte Leichen aus dem Krieg zurückkehrte. Nach all diesen Erlebnissen sagte mir meine Vernunft, daß die Menschen einander keineswegs als Brüder behandelten, sondern jeder ein reißender Löwe für den anderen war.
So langten wir nach angenehmer Fahrt in Achetaton an, und ich glaubte bei meiner Rückkehr weiser zu sein als vor der Reise.
3
Während meiner Abwesenheit hatte der Pharao wieder an Kopfschmerzen gelitten, und es hatte die Unruhe an seinem Herzen genagt, weil er fühlte, daß alles, was seine Hände berührten, in Scherben ging. Sein Leib brannte und glühte so heiß vom Feuer seiner Gesichte, daß er vor innerer Unrast dahinsiechte und immer bleicher wurde. Um ihn zu beruhigen, hatte der Priester Eje beschlossen, im Herbst nach der Getreideernte, wenn der Strom zu steigen begann, das dreißigjährige Gedenkfest zu veranstalten. Es hatte nichts zu bedeuten, daß Pharao Echnaton noch lange keine dreißig Jahre auf dem Thron saß; denn es war schon seit geraumer Zeit Sitte gewesen, daß der Pharao das dreißigjährige Fest feiern konnte, wann es ihm gerade beliebte. So hatte auch sein Vater es wiederholt abgehalten, und daher widerstritt diese Feier nicht der Wahrheitsliebe des Pharao Echnaton.
Zu dem bevorstehenden Fest waren viele Leute nach Achetaton gekommen. Eines Morgens, als der Pharao am Ufer des heiligen Weihers lustwandelte, warfen sich zwei Meuchelmörder auf ihn, um ihn mit Messern umzubringen. Am Strand aber saß ein junger Knabe, der Enten zeichnete. Er war ein Schüler des Thotmes; dieser ließ seine Zöglinge nicht nach Vorlagen, sondern nach der Natur zeichnen, was sehr schwierig war, weil sie dabei das, was sie sahen, und nicht bloß das, was sie wußten, darstellen mußten. Dieser Knabe nun wehrte mit einem Zeichenstift als einziger Waffe so lange die Messer der Meuchelmörder ab, bis die Wächter herbeieilten, um das Leben des Pharao zu retten, so daß er nur einen Stich in die Schulter erhielt. Der Knabe jedoch starb, und sein Blut floß Pharao Echnaton in die Hände. So offenbarte sich der Tod dem Pharao, der ihn früher nicht gekannt: während das Blut in seine Hände rann, sah er in der herbstlichen Pracht seines Gartens, wie seinetwegen der Tod die Augen des Knaben sich verschleiern und das Kinn herabfallen ließ.
Ich
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