Sinuhe der Ägypter
gewesen; aber ich kam nicht einmal auf den Gedanken, weil mein Herz das Herz eines Unschuldslammes und er mein Freund war. Trotzdem drangen eines Nachts zwei Meuchelmörder in das Zelt Azirus und verletzten ihn mit ihren Messern; doch er blieb am Leben und tötete den einen, und sein Söhnchen erwachte und stach dem anderen sein kleines Schwert in den Rücken, so daß auch dieser umkam.
Am folgenden Tage berief mich Aziru in sein Zelt und beschuldigte mich mit fürchterlichen Ausdrücken. Alsdann aber ging er auf meine Friedensvorschläge ein, und im Namen des Pharao schloß ich mit ihm und allen Städten Syriens Frieden. Gaza blieb in Ägyptens Gewalt, die Niederwerfung der Freischärler wurde Aziru überlassen und dem Pharao das Vorrecht zugesprochen, die ägyptischen Gefangenen und Sklaven loszukaufen. Zu diesen Bedingungen ließen wir auf Lehmtafeln einen Vertrag über ewige Freundschaft zwischen Ägypten und Syrien einritzen und bestätigten ihn im Namen aller tausend Götter Ägyptens und aller tausend Götter Syriens und schließlich noch in demjenigen Atons. Aziru fluchte fürchterlich und rief alle Gottheiten um Hilfe an, als er das Siegel über den weichen Lehm rollte, und auch ich raufte mir die Kleider und weinte bitterlich, als ich mein ägyptisches Siegel in den Lehm drückte. Schließlich aber waren wir beide zufrieden, Aziru machte mir viele Geschenke, und ich versprach, ihm selbst, seiner Gemahlin und seinem Sohn mit den Friedensschiffen von Ägypten ebenfalls zahlreiche Gaben zu senden.
So trennten wir uns in Eintracht. Aziru umarmte mich und nannte mich seinen Freund, und beim Abschied hob ich seinen schönen Knaben auf den Armen hoch, lobte seine Tapferkeit und berührte seine rosigen Wangen mit meinem Mund. Doch wußten sowohl Aziru als auch ich in unseren Herzen, daß der Vertrag, den wir für Zeit und Ewigkeit eingegangen waren, nicht einmal den Lehm wert war, auf dem er geschrieben stand. Denn jener hatte den Frieden erklärt, weil er ganz einfach dazu gezwungen war, und Ägypten wiederum hatte den Frieden auf Wunsch des Pharao Echnaton geschlossen. Der Friede aber blieb in der Luft, ein Raub der Winde: alles hing davon ab, in welche Richtung sich die Hetiter von Mitani aus wenden würden, vieles auch vom Mut Babyloniens und von den Kriegsschiffen Kretas, die den Handel zur See schützen sollten.
Jedenfalls begann Aziru seine Soldaten zu entlassen, hieß einen Geleittrupp mich nach Gaza begleiten und erteilte zugleich den Befehl, daß die vor Gaza stehenden Truppen die zwecklose Belagerung der Stadt aufgeben sollten. Doch ehe ich Gaza erreichte, war ich dem Tode näher und von größerer Gefahr bedroht als je zuvor auf dieser schrecklichen Reise. Als sich nämlich meine Begleiter, Palmzweige schwenkend, den Toren Gazas näherten und riefen, der Friede sei geschlossen, ließen uns die ägyptischen Verteidiger der Stadt nahe herangekommen, um alsdann Pfeile auf uns abzuschießen und Speere gegen uns zu schleudern. Ihre Wurfmaschinen schmetterten dröhnend so große Steine auf uns herab, daß ich wahrlich glaubte, meine letzte Stunde habe geschlagen. Der waffenlose Soldat, der mich mit seinem Schild schützte, wurde von einem Pfeil in den Hals getroffen und sank blutend zu Boden, während seine Kameraden die Flucht ergriffen; mir aber lähmte der Schrecken die Knie, so daß ich mich wie eine Schildkröte unter dem Schild verkroch und weinte und jammerte. Da mich die ägyptischen Soldaten des Schildes wegen von den Mauern nicht mit ihren Pfeilen erreichen konnten, gossen sie kochendes Pech aus großen Gefäßen herab, das zischend und brennend auf mich zufloß. Zum Glück schützten mich einige Steinblöcke, so daß ich bloß an Händen und Knien, die es allerdings nicht mehr nötig gehabt hätten, Brandwunden erlitt.
Während dieses ganzen Schauspiels lachten die Soldaten Azirus so unbändig, daß sie umfielen und sich vor Lachen auf dem Boden wanden. Vielleicht war der Anblick wirklich lächerlich, obschon ich nichts zu lachen hatte. Schließlich ließ ihr Befehlshaber die Hörner blasen; und vielleicht hatte auch mein Gewinsel die Ägypter erweicht: sie erklärten sich bereit, mich in die Stadt einzulassen. Doch taten sie mir keineswegs ein Tor auf, sondern ließen von der Mauer an einem Schilfseil einen Korb herab, in den ich mit meinen Lehmtafeln und meinem Palmzweig hineinkroch, um darin emporgezogen zu werden. Ich zitterte vor Angst so sehr, daß der Korb zu schaukeln begann: denn die
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