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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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anderen gaben sich unaufhörlich dem Trunk hin. Thotmes trank, die Sklaven versoffen die geraubte Beute, und die Reichen veräußerten ihren letzten Schmuck, um Wein kaufen zu können. Alle sagten: »Laßt uns essen und trinken! Keiner weiß, was der morgige Tag uns bringt.«
    Denn zur Zeit, da Atons Reich auf Erden errichtet wurde, herrschten Hunger und Aufruhr in Theben, und die Menschen wurden von einem solchen Taumel erfaßt, daß sie, auch ohne Wein zu trinken, berauscht waren. Es hatte nichts mehr zu bedeuten, ob einer das Kreuz trug oder nicht; denn den Ausschlag gab allein eine Waffe, eine harte Faust und eine starke Stimme, und wer am lautesten brüllte, verschaffte sich Gehör. Wenn einer auf der Straße ein Brot in der Hand trug, entriß es ihm ein anderer mit der Begründung: »Gib mir dein Brot! Vor Aton sind wir alle Brüder, und es schickt sich daher nicht, daß ich hungern muß, während sich mein Bruder den Magen mit Brot vollstopft.« Und wenn jemand einem in feines Linnen gekleideten Mann begegnete, sagte er zu diesem: »Gib mir dein Gewand! Im Namen Atons sind wir Brüder, und es ist unpassend, wenn ein Bruder besser gekleidet geht als der andere.« Und entdeckte man ein Horn am Hals oder an den Kleidern eines Mannes, so wurde dieser gezwungen, Mühlsteine zu drehen oder Wurzeln aus der Erde zu graben oder verbrannte Häuser abzureißen. Einige wurden aber auch totgeschlagen oder den Krokodilen zum Fraß ins Wasser geworfen; denn die Krokodile lagen bereits ungestört an den Ufern von Theben auf der Lauer, und das Klappern ihrer Kiefer und Schlagen ihrer Schwänze vermischte sich mit den Stimmen des um die blauen und roten Stangen versammelten und streitenden Volkes.
    Es herrschte keine Ordnung mehr. Die lautesten Schreier riefen: »Wir müssen in Atons Namen Ordnung und Zucht aufrechterhalten. Laßt uns daher alles Getreide sammeln und es unter uns verteilen! Keiner darf mehr auf eigene Faust plündern, sondern wir, die Stärksten, müssen es vereint tun, um die Beute unter die übrigen zu verteilen.« So taten sich die Vorlautesten zusammen und schlugen diejenigen, die auf eigene Faust zu stehlen versuchten, mit Stöcken, raubten mehr als je zuvor, brachten jeden Widerspenstigen um, aßen sich satt, kleideten sich in königliches Linnen und trugen Gold und Silber um Hals und Handgelenke. Unter ihnen gab es Leute, denen wegen schändlicher Verbrechen Ohren und Nasen abgeschnitten waren und die an den Handgelenken von Fesseln hinterlassene Narben und am Rücken von Stockhieben erzeugte Male trugen; aber sie waren sehr stolz darauf, entblößten ihre Schmach vor dem Volk und sagten: »Das alles haben wir Atons wegen erlitten. Haben wir also keine Entschädigung verdient?« Es war nicht möglich, sie von denjenigen zu unterscheiden, die als »Hörner« in die Bergwerke und Steinbrüche gesandt worden und jetzt als »Kreuze« zurückgekehrt waren, um sich unter das Volk zu mischen. Niemand aber hätte gewagt, das goldene Haus am jenseitigen Stromufer anzurühren; denn es war das des Pharao, und Eje trug dort immer noch den königlichen Krummstab und die Geißel und schützte die Priester Ammons.
    So verstrichen zweimal dreißig Tage – und länger währte Atons Reich auf Erden nicht. Es zerfiel. Denn die aus dem Lande Kusch mit Schiffen herbeförderten Negertruppen und die von Eje besoldeten Schardanen umzingelten die Stadt und sperrten alle Wege, sogar den Strom, so daß niemand entkommen konnte. Überall in der Stadt erhoben sich die »Hörner« zum Aufstand, und die Priester teilten aus Höhlen Ammons Waffen aus. Die Leute hatten zur Bewaffnung die Spitzen ihrer Stöcke gehärtet, ihre Küchenschlegel und Rollhölzer mit Kupfer beschlagen und den Schmuck ihrer Frauen zu Pfeilspitzen umgeschmiedet. Mit den Anhängern Ammons erhoben sich alle, die Ägyptens Wohl im Auge hatten; sogar die stillen, langmütigen, friedfertigen Menschen empörten sich und sagten: »Wir wünschen die Wiederkehr der alten Ordnung; denn die neue haben wir bereits mehr als satt, und Aton hat uns genügend ausgeplündert!«

    4

    Ich, Sinuhe, aber sprach zum Volk: »Vielleicht ist in diesen Tagen viel Unrecht aufgekommen und hat das Recht zertreten und manchen Unschuldigen an Stelle des Ungerechten leiden lassen; trotzdem bleibt Ammon der Gott der Furcht und Finsternis, der nur ihrer Torheit wegen über die Menschen herrscht. Aton hingegen ist der alleinige Gott; denn er lebt in unserem Innern und außerhalb von uns, und es

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