Sinuhe der Ägypter
sprach: »Schlaft wohl, ihr Sumpfratten! Schlaft und ruht euch aus und reibt euch die wunden Fußsohlen mit Öl ein, denn ich wache über euren Schlummer und beschütze euch!« Ich konnte jedoch keinen Schlaf finden und ging daher die ganze Nacht im Lager umher, die Wunden der Streitwagenkrieger zu pflegen, und Haremhab ermunterte mich mit den Worten: »Heile sie, Sinuhe, mit all deiner Kunst; denn tapferere Soldaten hat die Welt noch nie gesehen, und jeder von ihnen wiegt hundert, ja tausend Lehmwühler auf! Heile sie; denn ich liebe meine Soldaten sehr, die es verstehen, ein Pferd zu zähmen und die Zügel zu führen! Ich habe keine ausgebildeten Leute an ihrer Stelle einzusetzen. Von nun an muß jeder erst im Kampf Rosse und Streitwagen beherrschen lernen! Deshalb gebe ich dir einen Deben Gold für jeden Mann, den du wieder kampffähig machst.«
Ich aber war über die mühsame Wüstenreise äußerst ungehalten, wenn ich sie auch in einer Sänfte zurückgelegt hatte; meine Kehle war vom Wüstenstaub ausgetrocknet, und ich ärgerte mich beim Gedanken daran, daß ich wegen Haremhabs dummer Halsstarrigkeit durch die Hände der Hetiter würde sterben müssen, wenn ich auch den Tod an und für sich nicht fürchtete. Deshalb erwiderte ich ungeduldig:
»Behalte dein Gold oder verteile es unter deine Soldaten, damit sie sich wenigstens im letzten Augenblick vor dem Tod reich fühlen! Morgen werden wir zweifellos alle sterben müssen, da du uns in dieser schrecklichen Wüste in die Falle gelockt hast. Wenn ich mich eifrig mühe, deine Sumpfratten zu heilen, tue ich es ausschließlich meinetwegen, weil ich sie für die einzigen kampffähigen Männer der Armee halte, während die übrigen, besonders diejenigen, welche mit mir kamen, den Kopf verlieren und winselnd die Flucht ergreifen werden, sobald sie sich dem ersten Hetiter gegenübersehen. Ich habe sie nämlich im Dunkel vor einem abgebrochenen Ast zurückfahren sehen und einstimmig alle Götter Ägyptens um Hilfe anrufen hören, sobald ein Hase hinter einem Stein aufsprang und über den Weg lief. Zweifellos sind sie tapfer genug, um sich in den Straßen Thebens gegenseitig die Schädel zu zertrümmern oder in großen Haufen einem einsamen Wanderer die Kehle durchzuschneiden und die Börse zu rauben; in der Wüste aber gleichen sie Lämmern, die du zur Schlachtbank führst, und folgen dir demütig blökend, um im nächsten Augenblick blindlings die Flucht zu ergreifen. Deshalb heile ich meine Soldaten nur meinetwegen, in der Hoffnung, es werde uns ein unglaublicher Glücksfall dank ihrer Tapferkeit das Leben retten. Doch tätest du am gescheitesten daran, die flinkesten Pferde auszusuchen, einen leichten Wagen zu besteigen und mich mitzunehmen; dann würden wir vielleicht lebend das Untere Land erreichen, wo du eine neue und bessere Armee sammeln könntest.«
Haremhab rieb sich die Nase mit der Hand, betrachtete mich verschmitzt und meinte: »Dein Rat ist deiner Weisheit würdig, Sinuhe, und zweifellos hätte ich ihn schon längst befolgt, wenn ich eine Spur von Weisheit in mir trüge. Aber ich liebe meine Sumpfratten sehr und will sie daher nicht fern von mir in der Wüste sterben lassen, obwohl ich mit Leichtigkeit allein hätte fliehen, die Wasservorräte vernichten und damit den Krieg auf nächstes Jahr verschieben können. Ich weiß auch wahrhaftig nicht, warum ich nicht das Weite gesucht habe; denn das hätte jeder vernünftige Mensch an meiner Stelle getan, und ich hätte ja später ein Denkmal für meine Soldaten errichten, ihre Namen in den Stein hauen lassen und dadurch ihr Andenken verewigen können. Aber ich unterließ es – und deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als die Hetiter hier in der Wüste zu besiegen. Wir müssen sie schlagen, weil uns kein anderer Ausweg übrigbleibt. Vielleicht habe ich sogar sehr klug gehandelt, als ich das Heer in die Wüste berief, da den Leuten hier kein Weg zur Flucht offensteht und sie, ob sie wollen oder nicht, um ihr Leben kämpfen müssen. Jetzt aber will ich mich in meinen Wagen legen und Wein trinken, damit ich morgen einen Katzenjammer habe; denn dann bin ich wütend und schlage mich besser als in nüchternem Zustand.«
Er ging zu einem Streitwagen hinüber, führte einen Krug zum Mund, und ich vernahm das Glucksen des Weines in der Stille der Nacht, bis in weiter Ferne wieder das Dröhnen der Streitwagen und das Jammern verängstigter Ägypter, die von den Bollwerken blindlings in die Dunkelheit
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