Sinuhe der Ägypter
würde; doch die Götter oder ein günstiger Zufall hatten ihm in Gaza den seinen Anlagen entsprechenden Platz zugewiesen. Ursprünglich war er seines Widerspruchsgeistes und seiner ewigen Ungebärdigkeit wegen dorthin versetzt worden, weil Gaza im Vergleich mit den übrigen syrischen Städten eine bedeutungslose Kleinstadt und ein richtiger Verbannungsort war und erst durch die späteren Ereignisse Wichtigkeit erlangte. Strenggenommen hatte die Stadt gerade Roju ihre Bedeutung zu verdanken, weil er sie nicht an Aziru auslieferte, obwohl alle anderen syrischen Städte den Widerstand gegen ihn aufgaben.
Vor allem aber muß ich von unserer Ankunft in Gaza und von dem Anblick, den die Stadt uns bot, erzählen. Ich habe bereits von den Mauern Gazas gesprochen, die so hoch waren, daß ich damals, als mich Roju an einem Seil hinaufziehen ließ, nachdem er mir erst Hände und Knie mit kochendem Pech verbrannt hatte, das Genick zu brechen fürchtete. Diese Mauern waren Gazas Rettung. Sie waren aus gewaltigen Steinblöcken aufgeführt und ihre Fundamente bereits in grauer Vorzeit erbaut worden; niemand wußte von wem, doch das Volk behauptete, sie seien das Werk der Riesen. Deshalb vermochten auch die Hetiter nicht viel gegen diese Mauern auszurichten; bei ihrer kriegerischen Tüchtigkeit aber war es ihnen trotzdem gelungen, sie mit Hilfe von Wurfmaschinen teilweise zu zerstören und durch Grabungen unter dem Grundbau im Schutze der Schilde einen Wachturm zum Einstürzen zu bringen.
Auch die innerhalb der Mauern gelegene Altstadt war zum größten Teil niedergebrannt und kein Hausdach unversehrt. Die neue Stadt außerhalb der Mauern hatte Roju, sobald er von dem Aufstand Azirus Kenntnis erhielt, anzünden und zerstören lassen. Er tat dies schon darum, weil seine Ratgeber dagegen waren und die Bewohner der Stadt sich unter schweren Drohungen gegen deren Zerstörung auflehnten. Durch diese Tat trieb Roju ungewollt die syrische Bevölkerung Gazas zum vorzeitigen, unvorbereiteten Aufruhr; denn nach Azirus Wunsch sollten sich die Städte mit ägyptischen Garnisonen erst dann erheben, wenn seine Truppen und Streitwagen vor ihnen ständen. So kam es, daß Roju die Empörung mit seinen Soldaten zu unterdrücken vermochte, ohne Hilfe verlangen zu müssen, die Echnaton doch nicht geschickt haben würde – und er tat es auf so blutige und schreckenerregende Weise, daß hernach keiner der Bewohner mehr daran dachte, sich gegen ihn aufzulehnen.
Wenn jemand mit der Waffe in der Hand ergriffen wurde, sich ergab und um Gnade flehte, sagte Roju: »Erschlagt diesen Mann mit der Keule, weil er so aufsässig ist, um Gnade zu bitten!« Ergab sich andererseits jemand, ohne um Gnade zu flehen, meinte Roju in höchstem Zorn: »Schlagt diesem störrischen Rebellen, der vor mir die Nase so hoch trägt, den Schädel ein!« Kamen die Frauen und Kinder zu ihm, um für das Leben ihrer Männer und Väter zu bitten, so ließ er sie ohne Erbarmen totschlagen, indem er sagte: »Tötet dieses ganze syrische Pack, welches nicht begreift, daß mein Wille so hoch über ihm steht wie der Himmel über der Erde!« Keiner konnte es ihm recht machen, hinter jedem Wort witterte er Kränkungen und Widerspruch. Warnte man ihn vor dem Pharao, der kein Blutvergießen erlaubte, so erklärte er: »In Gaza bin ich Pharao!« So gewaltig war sein Selbstgefühl; doch muß ich zugeben, daß er diese Äußerung erst tat, als Azirus Truppen Gaza belagerten.
Die Belagerung der Stadt durch Aziru war jedoch noch ein Kinderspiel im Vergleich zu der grausamen, zielbewußten Brennung, welcher die Hetiter sie später aussetzten. Denn die Hetiter warfen Tag und Nacht Feuer in die Festung und in die Häuser, schleuderten Lehmkrüge mit Giftschlangen, Kadaver oder gefesselte ägyptische Gefangene, die dabei zu Tode fielen, über die Mauern. Bei unserem Einzug in Gaza fanden wir daher auch nicht mehr viele Einwohner am Leben, und aus den Höhlen unter den verbrannten Häusern krochen uns nur wenige Frauen und Greise entgegen, die fleischlos wie Schatten waren. Alle Kinder waren in Gaza gestorben, und alle arbeitsfähigen Männer hatten sich unter Rojus Peitschenhieben bei der Ausbesserung der beschädigten Mauern zu Tode geschunden. Keiner der Überlebenden zeigte die geringste Freude beim Einzug der ägyptischen Armee durch die geöffneten Stadttore; im Gegenteil: die Frauen drohten uns mit knochigen Fäusten, und die Greise verfluchten uns. Haremhab ließ Getreide und Bier unter sie
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