Sinuhe der Ägypter
auch Aziru und den Hetitern Dienste erwies, durch die du keinen Schaden erlitten hast. Deshalb trug ich eine Lehmtafel Azirus als Geleitbrief bei mir, als ich vor den rasenden Hetitern nach Gaza floh, weil sie mich für die Krankheit ihrer Rosse und für ihre Niederlage in der Ebene der Menschengebeine beschuldigten. Ein kluger Mann sichert sich nämlich auf allen Seiten und begnügt sich nicht nur mit einem einzigen Pfeil, sondern trägt viele Pfeile in seinem Köcher. Es würde dir und Ägypten nicht das geringste genützt haben, wenn meine Haut zum Trocknen an der Mauer gehangen hätte! Denn dann hätten die Hetiter Gaza vor deiner Ankunft erobert. Und deshalb mußte ich Azirus Geleitbrief bei mir tragen: um die Stadt an die Hetiter verraten zu können, falls du so lange gesäumt hättest, daß sie Gaza durch Kampf in ihre Gewalt bekommen hätten. Ich hielt die Lehmtafel Azirus sorgfältig unter meinen Kleidern versteckt; aber Roju ist ein mißtrauischer Mann, und seine Leute rissen mir die Kleider auf und fanden sie, obwohl ich mir, wie vereinbart, das blinde Auge zuhielt und von den giftigen Mistkäfern Syriens redete. Nachdem sie die Lehmtafel gefunden hatten, schenkte Roju den Losungsworten keinen Glauben mehr und ließ mich auf dem Rad foltern, bis ich wie ein Stier brüllte und gestand, ein Spion Azirus zu sein, nur damit er mir nicht die Glieder ausreißen ließe. Denn ohne Glieder hätte ich dir überhaupt nichts mehr genützt, nicht wahr, Haremhab? Oder spreche ich die Unwahrheit?«
Haremhab lachte und sagte: »Was du ausgestanden hast, magst du als Lohn betrachten, lieber Kaptah. Ich kenne dich, und du kennst mich. Quäle mich also nicht mit deinen Bitten um Gold; denn du reizt mich dadurch nur zum Zorn!« Kaptah aber blieb fest und brachte Haremhab schließlich dazu, ihm das Alleinrecht von Kauf und Verkauf der gesamten Kriegsbeute in Syrien zu erteilen. Dadurch war nur er berechtigt, den Soldaten die Beute, die ihnen im Hetiterlager in der Ebene der Menschengebeine und aus den Vorräten der Belagerer von Gaza zugefallen war, abzukaufen oder gegen Bier, Wein, Würfel und Frauen einzutauschen. Ebenso besaß er den Alleinvertrieb der Haremhab oder dem Pharao gehörenden Beute, gegen die er auch Waren für die Armee liefern durfte. Dieses Recht allein genügte, um ihn zu einem reichen Mann zu machen; denn nach Gaza waren zahlreiche Kaufleute auf dem Seeweg nach Ägypten gekommen, und auch aus den Städten Syriens strömten Händler herbei, die, ohne sich um Aziru oder die Hetiter zu kümmern und allein von ihrer Gewinnsucht getrieben, Geschäfte in Kriegsbeute machen und Gefangene für die Sklavenmärkte aufkaufen wollten. Von nun an durfte niemand in Gaza Handel treiben, ohne Kaptah für jedes Geschäft seinen Anteil auszuzahlen. Damit aber begnügte sich Kaptah nicht, sondern er verlangte das gleiche Handelsrecht auch für die ganze Beute, die das Heer Haremhabs noch in Zukunft einbringen würde. Nachdem sich Haremhab eine Zeitlang dagegen gesträubt hatte, ging er auch darauf ein, weil ihn dieses Versprechen nichts kostete, da er selbst kein Kaufmann war und Kaptah ihm dafür reichliche Geschenke versprach.
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Ferner muß ich erzählen, daß Haremhab, nachdem er Hilfstruppen auf dem Seeweg aus Ägypten erhalten, alle Streitwagen in kampffähigen Zustand versetzt, sämtliche Pferde aus Südägypten nach Gaza übergeführt und Truppenübungen vor der Stadt abgehalten hatte, bekanntgeben ließ, er sei als Befreier und nicht als Eroberer nach Syrien gekommen. Unter dem milden Schutz Ägyptens hatten alle Städte Syriens stets Handelsfreiheit und vollkommene Unabhängigkeit genossen, und jede Stadt war von ihrem eigenen König regiert worden. Aziru aber hatte durch seinen Verrat sämtliche syrischen Städte unter seine Herrschaft gebracht, die Könige ihrer angestammten Kronen beraubt und den Städten schwere Steuerlasten auferlegt. Außerdem hatte Aziru in seiner Habsucht Syrien den Hetitern verkauft, von deren Grausamkeit und barbarischen Sitten seine Bewohner täglich neue Beweise erhielten, und das Land hatte nichts anderes mehr zu erwarten als völlige Rechtlosigkeit und Knechtschaft unter den Hetitern, wenn diese auch ihre wahre Natur noch nicht gänzlich offenbart hatten, weil sie sich zuerst Ägypten unterwerfen wollten. Deshalb war er, Haremhab, der Unbesiegbare, der Sohn des Falken, nach Syrien gekommen, um das Land zu befreien, jedes Dorf und jede Stadt vom Joch der Sklaverei zu erlösen, den
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