Sinuhe der Ägypter
daß die Stadt vor Haremhabs Angriff außer der Garnison Azirus und den Soldaten der Hetiter beinahe zwanzigtausend Einwohner zählte und daß von diesen nach dem Abzug seiner Truppen keine dreihundert mehr am Leben waren.
So führte Haremhab den Krieg in Syrien. Ich folgte seinen Tr uppen, pflegte die Wunden der Soldaten und sah, wieviel Böses ein Mensch dem anderen zufügen kann. Der Krieg dauerte drei Jahre, und Haremhab besiegte die Hetiter und das Heer Azirus in vielen Schlachten; zweimal aber wurden seine eigenen Truppen in Syrien von den Streitwagen der Hetiter überrascht, die große Verheerungen anrichteten und ihn zum Rückzug hinter die Mauern der eroberten Städte zwangen. Aber es gelang ihm, die Seeverbindung mit Ägypten offenzuhalten, und die syrische Flotte vermochte die seinige, die allmählich kriegerische Fähigkeiten entwickelte, nicht zu besiegen. Er erhielt daher nach seinen Niederlagen Verstärkungen aus Ägypten und konnte zu neuen Schlägen ausholen. Die Städte Syriens wurden in Trümmer gelegt, und die Menschen verbargen sich wie Raubtiere in Felsenschluchten. Ganze Landstriche wurden verwüstet, und plündernde Scharen vernichteten die Pflanzungen und fällten die Obstbäume, um den Feind in dem von ihm beherrschten Gebiet der Nahrung zu berauben. Damit schwanden aber auch der Reichtum und die Manneskraft Ägyptens in Syrien, und Ägypten glich einer Mutter, die ihre Kinder sterben sieht und sich die Kleider zerrauft und Asche ins Haar streut. Denn vom Unteren bis zum Oberen Lande gab es den ganzen Strom entlang kein Dorf und keine Stadt, keinen Strand und keine Hütte mehr, die nicht für die Größe Ägyptens Männer und Söhne in Syrien verloren hätten.
Drei Jahre lang führte Haremhab in Syrien Krieg, und in dieser Zeit alterte ich mehr als in allen früheren Jahren, so daß mir das Haar ausfiel, der Rücken sich krümmte und das Gesicht runzlig wurde wie eine verschrumpfte Frucht. Meine Tränensäcke schwollen von all dem Gesehenen, ich wurde verschlossen und reizbar, herrschte die Leute an und richtete harte Worte an die Kranken, wie viele alternde Ärzte tun, wenn sie es auch anfangs gut gemeint haben. In dieser Hinsicht unterschied ich mich nicht von meinen Berufsgenossen, obwohl ich mehr als die meisten von ihnen gesehen hatte.
Im dritten Jahr trat die Pest in Syrien auf; denn diese Krankheit folgte stets den Spuren des Krieges und entsteht, sobald sich genügende Mengen verwesender Leichen an einem Ort häufen. So glich wahrlich im dritten Kriegsjahr ganz Syrien einer stinkenden Totengrube, ganze Völker und Stämme starben in diesem Kampf aus, und ihre Sprachen und Sitten fielen für alle Zeiten in Vergessenheit. Die Pest selbst raffte noch die vom Krieg Verschonten dahin und tötete so viele Leute im Heere Haremhabs wie auch in der Armee der Hetiter, daß die Kriegsführung unterbrochen werden mußte, weil die Truppen in die Berge und in die Wüste hinaus flüchteten, wo die Pest sie nicht erreichte. Die Seuche machte keinen Unterschied zwischen Hohen und Niedrigen, reich und arm. Keine der üblichen Arzneien half gegen die Pest: wer an dieser erkrankte, zog sich ein Tuch über den Kopf, legte sich hin und verschied binnen dreier Tage; wer ihr aber nicht erlag, behielt sein Leben lang fürchterliche Narben in den Achselhöhlen und den Leisten, aus denen während der Genesung Eiter floß.
Ebenso launisch wie sie tötete, verfuhr die Pest, wenn sie ausheilte. Denn es waren nicht immer die Kräftigsten und Gesündesten, die genasen, sondern viel öfters die Schwächsten und Ausgemergeltsten, als hätte die Krankheit bei diesen nicht genügend Nahrung für ihre Mordlust gefunden. Deshalb griff ich bei der Pflege der Pestkranken schließlich zu dem Mittel, daß ich ihnen, um sie zu schwächen, so viel Blut wie möglich abzapfte und, solange die Krankheit währte, keine Nahrung einzunehmen gestattete. Auf diese Weise heilte ich viele Kranke; ebenso viele aber starben trotz meiner Bemühungen, und ich konnte daher nicht sagen, ob mein Verfahren richtig war. Irgendwie mußte ich jedoch die Kranken behandeln, damit sie ihren Glauben an meine Kunst bewahrten; denn ein Patient, der den Glauben an seinen Arzt und dessen Kunst verliert, stirbt noch eher als einer, der ihm vertraut. Auch war meine Heilmethode gegen die Pest besser als manche andere, weil sie den Kranken nicht teuer zu stehen kam.
Die Seuche wurde durch Schiffe auch nach Ägypten gebracht; doch starben dort weniger
Weitere Kostenlose Bücher