Siren of the Seas 01 - Meer der Sehnsucht
in ihren Überlegungen gewesen war.
„Guten Morgen, Ambrosia." Riordan blieb wie angewurzelt stehen und schaute verwundert auf ihren ungewöhnlichen Aufzug. Unter dem Saum des langen Nachtgewands lugten die nackten Zehen hervor, und das breite Umschlagtuch, das sie sich achtlos über die Schultern geworfen hatte, verbarg nichts von den Konturen ihres Körpers, wie sie sich unter dem Stoff abzeichneten. Das prachtvolle Haar fiel ihr in dichten Welle bis über die Hüfte.
Riordan erinnerte sich daran, wie weich es sich unter seinen Händen angefühlt hatte. Er musste sich über alle Maßen beherrschen, um nicht nach der Fülle zu greifen. „So früh schon auf den Beinen?" erkundigte er sich mit rauer Stimme.
„Das Gleiche könnte ich Sie fragen, Captain", gab Ambrosia zurück.
„Riordan", verbesserte er sie, wobei ein unwiderstehliches Lächeln über seine Züge glitt.
„An Bord bin ich es gewöhnt, im Morgengrauen aufzustehen. Ich hatte vor, hinunter an den Strand zu gehen und mit einem kleinen Boot hinaus zur Undaunted zu rudern."
„Ich würde gern mitkommen."
Er war überrascht und zugleich von einer stillen Freude erfüllt. „Ich warte unten. Da die Bediensteten bestimmt noch nicht auf sind, wollte ich mir in der Küche etwas zu essen ein-packen, was ich mit an Bord nehmen kann."
„Bitte, genug für zwei. Ich bin in Kürze passend angekleidet und bereit für den Ausflug."
Im Osten war der erste Lichtschimmer des neuen Tages zu sehen, als Ambrosia und Riordan nacheinander die Strickleiter zur Undaunted hochkletterten. Dabei hatte er Gelegenheit, ihre schlanken Fesseln und sogar ein beträchtliches Stück ihrer Beine zu bewundern, denn natürlich musste sie ihre Röcke beim Aufstieg ein wenig raffen.
Als sie schließlich auf Deck standen, setzte Riordan den Korb, in dem er Speisen und Getränke mitgebracht hatte, ab. Schweigend beobachtete er, wie Ambrosia langsam hin und her ging. Prüfend ließ sie die Hände über die Reling gleiten, berührte das Steuerrad. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie unter Deck.
Riordan wusste, dass sie die Kapitänskajüte aufsuchen würde. Er beschloss, sich anderweitig nützlich zu machen, damit Ambrosia eine Weile ungestört sein und ihrer Trauer nachspüren konnte.
Unter Deck, in der Kajüte ihres Vaters, stand Ambrosia eine Weile vö llig reglos und nahm den vertrauten Anblick, die Gerüche und Geräusche tief in sich auf. Das Knarren und Ächzen der Balken in der sanften Brandung, das Rollen der an den Bug schlagenden Wellen.
Von einem Tischchen, das am Boden festgeschraubt war, nahm Ambrosia die Pfeife ihres Vaters auf, atmete tief den Duft nach Tabak ein. Sie setzte sich in den Stuhl ihres Vaters und schaute auf die gegenüberliegende Wand. Dort hatte er in kleinen, eigens dafür geformten Einbuchtungen seine sauber aufgerollten Karten aufbewahrt, die er während seiner Reisen oftmals benutzt hatte.
Auf der anderen Seite der Kajüte war die schmale Koje, ebenfalls fest und sicher auf dem Boden und auch noch in der Wand verankert. Darüber befand sich das kleine Bullauge.
Ambrosia schloss die Augen und stellte sich vor, wie ihr Vater gerade aufwachte und einen ersten Blick durch das Bullauge warf, um zu sehen, wie der Seegang war und ob das Schiff ordentlich Fahrt machte.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, begann Ambrosia zu weinen. All der Schmerz, den sie bislang in sich verschlossen und unter Kontrolle gehalten hatte, brach sich nun Bahn. Mit zwei Schritten durchmaß sie die Kajüte, warf sich in die Koje und rollte sich zusammen. Jetzt endlich erlaubte sie den Tränen, ungehindert zu fließen. Sie weinte, als ob sie niemals wieder würde aufhören können.
Ambrosia hatte jegliches Zeitgefühl verloren und keine Ahnung, wie lange sie sich schon an Bord befand. Sie war vollständig in ihrem Kummer gefangen gewesen. Der Schmerz saß tief in ihrem Herzen.
Doch irgendwann hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie die Kajüte verlassen und sich auf die Sache nach Riordan machen konnte. Sie fand seine Stiefel sowie sein Hemd neben einer Leiter, die hinunter in den Laderaum führte. Sie spähte hinab und formte die Hände zu einem Trichter. „Hallo, ist da unten jemand?" rief sie.
Als keine Antwort kam, befiel Ambrosia panische Angst. War er ertrunken? Gestürzt?
„Riordan!" Ohne zu zögern, raffte sie ihren Rock und begann, die Leiter hinabzusteigen.
Es war dunkel dort unten, und sie konnte kaum die Umrisse der verschiedenen Gegenstände erkennen, die in dem
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