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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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blickte auf das Infoschild neben dem Gemälde. Sirene, stand darauf. MacDougal, Joan. Amerikanische Künstlerin. 1851-1927. »Ich dachte immer, Sirenen seien das Gleiche wie Meerjungfrauen«, sagte Will.
    Asia neigte den Kopf zur Seite. »Der eine sagt Fisch, der andere sagt Vogel.«
    »Sprich: gehüpft wie gesprungen«, scherzte Will.
    Asia sah ihn an. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Ob sie sich über seinen Witz amüsierte … oder ob sie fand, dass er ein Idiot war, wusste Will nicht mit Sicherheit. Sag irgendetwas Kluges, ermahnte er sich selbst. »Ich finde, dass dieser Flügel hier schön gemalt ist.« Er zeigte auf den ausgebreiteten Flügel, an dem jede Feder im Detail zu erkennen war.
    Asia hörte ruhig zu und studierte weiterhin das Gemälde. »Mir gefällt, wie der Himmel sich verdunkelt«, sagte sie dann. »Und die Klippen.«
    Will betrachtete angestrengt die Klippen im Hintergrund. Er hatte sie gar nicht wahrgenommen, so sehr hatte die Vogel-Frau seine Aufmerksamkeit gefesselt. Tatsächlich waren im Hintergrund graue Klippen zu erkennen. Und auf deren Spitzen, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, drei weitere Vogel-Frauen, die still beobachteten, was dort vor sich ging. In ihren Krallen hielten sie mehrere Totenköpfe. Einer davon war noch nicht einmal sauber abgepickt.
    Will lief es eiskalt den Rücken herunter.
    »Ganz genau«, sagte Asia und studierte seine Miene.
    »Hast du schon den Rest der Ausstellung angesehen?«, fragte Will unvermittelt. Er wollte nur schnell weg von diesem Bild.
    Asia konnte seine Gefühle offenbar nachvollziehen. Sie ging weiter und schlenderte durch die Galerie. Will gab vor, sich für eine Skulptur in Form eines Muschelhorns zu interessieren, das aus Tausenden kleinerer Muscheln zusammengesetzt war. Tatsächlich aber beobachtete er Asia aus dem Augenwinkel. Dieses Mädchen hatte etwas an sich, das er nicht recht einzuordnen wusste. Ihre Art, sich zu bewegen – selbstbewusst, jedoch ohne einen Hauch von Arroganz –, war in dieser kleinen Stadt ein vollkommen ungewohnter Anblick. Will musste an ihren Blick denken, den sie ihm durch die regenüberströmte Windschutzscheibe zugeworfen hatte. Er hatte ihn in Schach gehalten, ebenso wie an jenem anderen Tag ihre Stimme. Man tat besser daran, einen gewissen Abstand zu wahren und sie von Weitem zu betrachten. Asia erweckte fast den Anschein, als stamme sie von einem anderen Planeten. Die meisten Bilder und Skulpturen bedachte sie nur mit einem flüchtigen Blick. Eine wandgroße Fotografie, auf der mehrere geschmacklos aufgetakelte, lächelnde Meerjungfrauen mit pinkfarbenen Perücken zu sehen waren, erntete ein Lachen. Schließlich gesellte sie sich zu Will, der noch immer vor der Skulptur stand. Aufmerksam betrachtete sie die kleineren Muscheln, die sich schneckenförmig zu einer großen Muschel zusammenfügten.
    »Das Wechselspiel zwischen den Vielen und dem Einen«, sagte sie dann.
    »Ach, tatsächlich?« Will legte den Kopf schief. »Also, ich bekomme von diesem Ding einfach nur Appetit auf frittierte Muscheln.«
    Asia lachte. Es klang hell wie ein Silberglöckchen.
    »Sag mal, hast du … hast du nicht Lust, mit mir etwas essen zu gehen?«, fragte Will. »Zum Beispiel frittierte Muscheln?«
    Asia sah ihn entgeistert an, als hätte sie diese Frage so gar nicht von ihm erwartet. Ihre Stimme klang schleppend, wie ein nachgezogenes Hinkebein, doch sie sagte: »Ja, na gut.«
    Sie traten hinaus ins grelle Sonnenlicht und Will deutete nach links. »Da unten am Wasser gibt’s echt leckere Muscheln.«
    »Bei Dave’s?« ,fragte Asia.
    Will war baff. Aus irgendeinem Grund hätte er nie gedacht, dass Asia den schäbigen kleinen Muschelimbiss, der von Einheimischen betrieben wurde, kannte. »Genau da.«
    Schweigend liefen sie im Gleichschritt die Straße entlang. Nachdem sie zweimal abgebogen waren, wehte ihnen bereits der köstliche, durchdringende Geruch frittierter Speisen entgegen. Sie bestellten an der Verkaufstheke und nahmen ihr Essen dann mit zu einem der Klapptische, die auf der Veranda standen. In Sichtweite brachen sich die Wellen an den Felsen und eine sanfte Brise wehte ihnen um die Nase, als sie die mit frittierten Muscheln und Pommes frites gefüllten roten Plastikschachteln vor sich auf den Tisch stellten. Asia saß Will gegenüber und kam ihm inmitten dieser profanen Szenerie merkwürdig deplatziert vor. Für einen kurzen Moment fragte er sich, was er sich überhaupt dabei gedacht hatte, sie mit hierher zu

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