Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
Vom Netzwerk:
war sehr traurig – es handelte irgendwie vom Meer. Es war Kirk Worstler.
    Das Lied klang wie ein altes Seemannslied, allerdings keines, das Will kannte:
     
    Kein Segel in Sicht auf der tiefblauen See;
    Wie schmerzt dein Verlust mich so sehr.
    Und als klopft einer an,
    Rollen Wellen heran,
    Und was lebt, holt zurück sich das Meer.
     
    Der Wind trug ihnen das Lied zu. Kirk besaß eine überraschend schöne Tenorstimme.
    »Wenn man ein Geschwisterteil verliert, macht das etwas mit einem …«, sagte Will schließlich.
    »Es quält einen«, sagte Asia.
    Qual. Das war der passende Ausdruck. Genauso fühlte es sich für Will an – quälend.
    Am schwierigsten war für ihn, zu akzeptieren, dass Tim niemals etwas anderes sein würde – etwas anderes als tot. Will konnte keinen Trost in der Vorstellung finden, dass Tim nun im Himmel war, wo er auf alle seine Lieben wartete. Ebenso wenig tröstete es ihn, zu glauben, das Ganze sei Teil eines göttlichen Plans. Falls Gott einen Plan hatte, wie konnte dieser beinhalten, dass ein 18-Jähriger sterben musste, kaum dass er sein erstes Collegejahr vollendet hatte, und bevor sein Leben überhaupt begonnen hatte? Was für ein total beschissener Plan sollte das bitte sein? All diese Dinge, die Will von den Leuten zu hören bekam – »Nichts im Leben geschieht ohne Sinn«, »Er ist jetzt bei eurem Großvater«, »So ist es Gottes Wille« – all diese Worte waren in seinen Ohren nur leere Floskeln. Er verstand zwar, dass die Leute ihn nur trösten wollten, doch es war lediglich der klägliche Versuch, ihn von der Tatsache abzulenken, dass Tim für immer fort war, und dass absolut nichts in Wills Leben – weder eine Frau, noch Kinder, noch Karriere – ihn jemals würde ersetzen können. Die Leute redeten ständig vom Kreislauf des Lebens. Aber das Leben ist kein Kreislauf, dachte Will. Es ist eine Gerade, die in eine einzige Richtung führt – wie ein Steg.
    Die einzigen Leute, die ihm wirklich lästig wurden, waren die »Halte die Erinnerungen am Leben« -Menschen. Sie bestanden hartnäckig darauf, Will solle dankbar für die vielen gemeinsamen Momente mit Tim sein. Außerdem rieten sie ihm, er solle sich der guten alten Zeiten erinnern und Tim stets in allem suchen. Doch Will wollte nicht irgendwelche Erinnerungen am Leben erhalten. Ihm fehlte nicht die Vorstellung von Tim – sondern Tim selbst. Der Bruder aus Fleisch und Blut, der ihm einst die Nase gebrochen hatte, der ihn verpfiff, nachdem er eine Fensterscheibe in der Kartoffelscheune zerschlagen hatte, und der bei Schweinchen Wilbur und seine Freunde so schrecklich geheult hatte, dass er sich sogar übergeben musste.
    Aus dem Grund empfand Will es als eine große Erleichterung, mit jemandem reden zu können, für den seine Gefühle nachvollziehbar waren. Es quält einen. »Die Leute sagen immer, ich würde irgendwann drüber hinwegkommen, aber –«
    »Du wirst nie darüber hinwegkommen.« Asias Stimme glich einem niedersausenden Schwert – scharf und Unheil bringend.
    »Nicht?«
    »Nie.« Asias Augen glühten.
    Neben ihnen lehnte sich eines der beiden Mädchen über die Tischplatte und flüsterte ihrer Freundin etwas zu. Beide fingen an zu lachen und warfen Asia abschätzige Blicke zu. Will dachte darüber nach, wie dumm es doch war, jemanden zu beneiden, den man gar nicht kannte. Gut, Asia war wunderschön. Aber er war sich sicher, dass sie keinen Augenblick zögern würde, ihre Schönheit herzugeben, wenn sie dafür ihre Schwester zurückhaben könnte. Diese Mädchen achteten nur aufs Äußere. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung davon, was sich wirklich dahinter verbarg.
    Es quält dich. Du wirst nie darüber hinwegkommen.
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte Will schließlich.

Kapitel 6
    Aus der Shelter Bay Gazette
    Rätselraten in der Galerie Miller
     
    Ein unbekannter Spender hat der Galerie Miller in der letzten Woche eine vierhundert Jahre alte Goldmünze über die Spendenbox zukommen lassen.
    »Ich fand sie, als ich die Box ausleerte«, sagte Marjorie Willstack, ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Galerie. »Im ersten Moment sah es aus wie ein Flaschendeckel. Als ich dann gemerkt habe, was da vor mir lag, blieb mir fast das Herz stehen.«
    Jacob Worthington, Inhaber von Edelantiquitäten Worthington und Spezialist auf dem Gebiet seltener Sammlermünzen, schätzte den Wert der Münze auf ungefähr sechstausend Dollar. »So etwas würde mit Sicherheit niemand fälschlicherweise in die Box werfen«, so

Weitere Kostenlose Bücher