Sirenenfluch
eingehend von oben bis unten. »Na, wen haben wir denn da?« ,fragte sie.
»Meinen Ex«, antwortete Zoe.
»Oh.«
Jason ließ sich neben Zoe im Sand nieder. Er strich ihr über das Haar und ließ sanft eine Strähne durch seine Finger gleiten. »Hi, Süße.«
»Hi.« Zoe vergaß alles, was sie je über die Beschaffenheit von Haaren gelernt hatte – dass sie nur abgestorbene Hornzellen waren. Sie hätte schwören können, dass sich in jeder einzelnen ihrer blonden Haarspitzen Nervenenden befanden – sie konnte den Druck und die Wärme seiner Finger spüren. »Jason, das ist Trina.«
»Hi.« Trina schenkte ihm ihr umwerfendes Ich-lasse-alle-Männerherzen-höher-schlagen-Lächeln. »Schön, dich kennenzulernen.«
Doch Jason ließ das offenbar kalt. »Ganz meinerseits«, sagte er knapp und nickte ihr zu. Dann wandte er sich wieder Zoe zu. »Wie läuft’s bei dir in der Stadt?« So nannte man New York hier draußen. Einfach nur »die Stadt«. Als würden alle im Märchenreich Oz leben und es gäbe auf der ganzen Welt nur eine einzige Stadt.
»Kommt mir gerade ewig weit weg vor«, erwiderte Zoe. »Und wie ist es so in Arlington?«
Jason hob eine Handvoll Sand auf und ließ ihn durch die Finger rieseln. »Bescheuert.«
»Verstehe.« Zoe wusste genau, wovon er sprach. Jason lebte die meiste Zeit über bei seinem Vater, aber die beiden kamen nicht sonderlich gut miteinander aus. Die Sommerzeit verbrachte Jason bei seiner Mutter in Montauk, nicht weit von Shelter Bay. Ihr gehörte eine renommierte Galerie in New York und Jason hätte weitaus lieber bei ihr gelebt. Doch sein Vater saß im Vorstand eines gut laufenden Glücksspielunternehmens und hatte für die Scheidung den besseren Anwalt angeheuert. Somit war ihm das Sorgerecht zugesprochen worden. In dieser Hinsicht passten Jason und Zoe gut zueinander – beide lebten nicht bei ihren Müttern.
»Aber allzu lange werde ich eh nicht mehr dort sein«, fuhr Jason fort. »Im kommenden Herbst gehe ich nach Dartmouth.« Er grub seine Finger in den Sand.
»Du hast es gut«, seufzte Zoe. »Ich hab noch ein Jahr vor mir.«
»Ja, aber du bist wenigstens in der Stadt.«
»Ja, schon.« Sie machte sich nicht die Mühe, ihm zu widersprechen. Es war ja nicht so, dass sie den Gedanken fürchterlich gefunden hätte, hier draußen die öffentliche Highschool zu besuchen, anstatt – wie die letzten elf Jahre ihres Lebens – die reine Mädchenschule in Manhattan. Sie wollte lediglich vermeiden, dass Trina die Neuigkeit per SMS brühwarm an jeden aus der Klasse weitergab.
Gedankenverloren rieb sie ihre Beine mit der Sonnenmilch ein.
Jason streckte die Hand aus und fuhr mit dem Finger über ihren Oberschenkel. Zoe sah auf. Ihre Blicke trafen sich. Die Vormittagshitze machte sie ganz benommen.
»Arlington? Liegt das nicht in Virginia?«, fragte Trina. »Bei Washington D.C.?«
Jason und Zoe drehten sich zu ihr um. Einen Augenblick lang hatte Zoe völlig vergessen gehabt, dass Trina überhaupt existierte.
»Richtig«, sagte Jason nach einer kurzen Pause. »Man sollte meinen, das würde den Ort interessanter machen, aber da wimmelt es nur so von Anwälten.«
»Meine Mutter ist übrigens auch Anwältin«, ließ Trina ihn wissen.
Jason lachte. »Dann weißt du ja, wovon ich spreche.«
Das ist so typisch für Jason, dachte Zoe. Er sagt immer, was er denkt. Ab und an fand sie das zwar nervig, doch im Großen und Ganzen amüsierte es sie eher. Insgeheim bewunderte sie Jason dafür, dass er absolut nichts darauf gab, was andere Leute von ihm dachten. Ich wünschte, mich könnte so etwas auch kaltlassen, dachte sie.
Jason wandte sich zu Zoe um. »Hey, ich sterbe fast vor Durst. Kommst du mit zur Snackbar?«
Zoe sah ihn an und konnte seine Gedanken lesen. Der Strandimbiss befand sich ganz in der Nähe – ein großes, geschmackvoll gestaltetes Gebäude, das auch Duschmöglichkeiten und Ruheräume bot. Es war auf einem hölzernen Unterbau errichtet worden, sodass man problemlos unter das Gebäude gelangen konnte, wo es im feinen Sand kühl und schattig war.
Zoe konnte förmlich seine warmen Hände auf ihrer Haut spüren, wie sie sanft über ihre Taille und den flachen Bauch wanderten. Sie wusste genau, wie seine Finger sich in ihrem Haar vergraben würden. Sie kannte den salzigen Geschmack seiner Lippen. Nach dem vergangenen Sommer hatte er sie nicht mehr angerufen, sondern ihr nur ein paar SMS geschickt und Facebook-Einträge hinterlassen. Aber so lief das nun einmal mit
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