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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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nichts dran, Will. Sie sind nichts als ein Haufen Blödsinn für schlichte Gemüter.« Er trocknete sich seine Hände ab und hängte das geblümte Handtuch zurück an seinen Haken. »Komm jetzt, Carl«, sagte er. Dann verließ er das Haus ohne ein weiteres Wort durch die Hintertür.
    Carl trank noch hastig den Rest seines Kaffees aus. Er warf Will ein entschuldigendes Lächeln zu und sprang dann von seinem Stuhl auf, um seinem Bruder hinterherzueilen.
    An diesem Abend nahm Will eine Dusche und verkroch sich danach gleich in sein Bett. Er machte das Licht aus und vergrub seine Füße unter Guernseys warmem Körper. Doch er konnte nicht einschlafen. Der Mond erhellte sein Zimmer wie ein Suchscheinwerfer. Er schien auf seinen Schreibtisch und auf das Buch, das ganz obenauf lag und wie ein Tier auf der Tischkante kauerte.
    Guernsey gab keinen Mucks von sich, als Will die Bettdecke zurückschlug und den Raum durchquerte. Das Buch lag schwer in seinen Händen. Er stieg wieder ins Bett, knipste die kleine Lampe auf seinem Nachttisch an und schlug die erste vergilbte Seite auf.
     
    12. Juli 1884
    39° 21’ N, 52° 53’ W
    Meiner Einschätzung zufolge werden wir in drei Wochen auf Land treffen, es ist heiter, jedoch weht kein Lüftchen. Die Eliza Thomas ist ein tüchtiges Schiff, wenngleich recht klein, und es wird ihr nachgesagt, sie bringe einem Glück. Es ist mir ein Vergnügen, sie zu befehligen.
    Seit wir von den Azoren aufbrachen, kam es mir nicht in den Sinn, etwas aufzuschreiben, war es doch bis hierher eine durch und durch gewöhnliche Überfahrt. Heute jedoch ereignete sich etwas, das mir Sorgen bereitet. Als ich just im Begriff stand, mir in meiner Kajüte einige Seekarten anzuschauen, drang vom Oberdeck Lärm und Geschrei zu mir herunter. Ich eilte sogleich hinauf, um nachzusehen, was dort vor sich ging. Zwei Männer, Akers und Michaelson, waren in heftigen Streit geraten. Akers hielt ein Messer in der Hand und wollte damit vor meinen Augen und unter den Anfeuerungsrufen der anderen Männer auf Michaelson losgehen. Ich bestand darauf, den Grund für all dies zu erfahren, woraufhin Akers sich mit wildem Blick zu mir umwandte. Es war mir, als blickte ich dem Teufel höchstpersönlich ins Gesicht. Da er nach wie vor das Messer in der Hand hielt, war es mir kein Leichtes, ihm zu trotzen. Doch ich war mir meiner Kapitänspflicht bewusst und rührte mich nicht von der Stelle.
    Michaelson beschuldigte Akers, ihm sein Messer gestohlen zu haben.
    Akers ist ein kleiner Mann mit blitzenden Augen und er zischte wie eine Schlange, als er schließlich zugab, das Messer widerrechtlich entwendet zu haben. Mit seiner langen Nase und seiner verstohlenen Art erinnert er an eine Ratte und ebenso buckelig hockte er dort vor mir, als er seine Erklärung vorbrachte, die da lautete: »Der hat sich hier klammheimlich Extrarationen verschafft. Da hab ich’s ihm nur ’n bisschen schwerer machen wollen.«
    Daraufhin ging ein Raunen durch die Mannschaft. Ich spürte ihre Anspannung in meinem Rücken. Es ist in der Tat wahr, dass ich in den vergangenen Tagen die Essensrationen gekürzt hatte, da es aufgrund der ungünstigen Winde nicht auszuschließen ist, dass wir mehr Zeit als vorgesehen auf hoher See verbringen werden. Dieser Ungehorsam schien mir ein böses Omen. Ich forderte eine Erklärung von Michaelson, der wie ein gehetztes Tier wild um sich blickte und sodann gestand, mehr genommen zu haben, als ihm zustand. Hiernach stürzte er sich auf Akers, der mit dem Messer nach ihm stach.
    Ein leuchtend roter Streifen erschien quer über Michaelsons Unterarm, doch er war der Größere von beiden und drängte Akers mit seinem vollen Gewicht gegen ein Fass. Er schlug Akers’ Hand dagegen, einmal, zweimal, alldieweil er meinen Befehl, damit aufzuhören, gänzlich ignorierte. Er schmetterte die Hand immer weiter gegen das Fass, bis die geschundenen Finger das Messer zu Boden fallen ließen.
    Akers wollte Michaelson an die Gurgel gehen, doch Michaelson war stärker. Ich war mir sicher, dass Akers getötet werden würde, doch da trat mein erster Maat, Owen Moore, hinzu und zerrte Michaelson von Akers fort. Dieser ging sogleich wieder auf Michaelson los, doch zwei kräftige Matrosen packten ihn an den Armen und hielten ihn zurück. Er tobte weiter wie eine wütende Katze.
    Moore blickte mich an. Er ist ein hochgewachsener Mann mit blondem Haar, so wie es allen Schweden eigentümlich ist, und Augen, so ruhig wie die stille See. Seine Bewegungen

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