Sirenenfluch
dagegen, ihn wegzusperren.
Möglicherweise ist dies ein großer Fehler. So oder so habe ich Angst um meine Männer.
29. Juli
41° 20’ N, 66° 52’ W
Heute wurde ich aus dem Schlaf gerissen, als jemand mit aller Macht an die Tür meiner Kajüte hämmerte. Ich schreckte aus einem lebhaften Traum auf und einen Moment lang wusste ich nicht, wo ich war. In dem Traum befand ich mich allein auf dem Schiff, mitten auf offener See.
Die Wellen leckten an den Schiffsseiten. Über mir der blaue Himmel, um mich her das weite Meer. Ein unbestimmtes Grauen überkam mich wie der Anbruch der Dunkelheit. Ich suchte den Horizont ab, doch ich konnte keine Gefahr ausmachen. In diesem Augenblick entdeckte ich auf dem Vordeck eine Abdeckplane. Etwas schien darunterzuliegen, möglicherweise ein Holzfass. Ich beugte mich vor, um es genauer zu betrachten, da hob sich die Plane wie von Geisterhand. Furcht erfasste mich und schnürte mir die Kehle zu. Mit eben diesem Gefühl erwachte ich.
Es hämmerte immer weiter gegen meine Tür, während ich gleichzeitig jemanden zusammenhanglose Dinge brüllen hörte. In meiner Verwirrtheit sprang ich mit einem Satz aus dem Bett und rannte zur Tür. Davor erwartete mich ein schauerlicher Anblick – ein ausgemergeltes Gesicht, aus dem mich zwei hervorquellende Augen anstarrten, deren Pupillen vollkommen verschwunden waren, sodass lediglich das Weiß zu sehen war, gleich einer dem Grabe entstiegenen Erscheinung. Es war Akers. Bei ihm waren Moore und Walters. Sie standen hinter Akers und blickten äußerst besorgt drein. Akers schrie, sie habe »ihn in die Tiefe gezogen«! Dann griff er mich am Arm und wollte mich aus meiner Kajüte zerren. Moore drehte Akers den Arm auf den Rücken und drohte ihm mit den Konsequenzen seines Tuns.
Doch Akers schrie immer weiter und es war offensichtlich, dass er voller Panik war, weshalb ich Moore ein Zeichen gab, ihn loszulassen. Akers wurde halb in meine Kajüte gestoßen, halb geschleift und ich bedeutete ihm, auf einem der Stühle Platz zu nehmen. Er verzog das Gesicht, während er sich alle Mühe gab, die Kontrolle über sich zurückzuerlangen. Ich sah ihm an, dass seine Pein regelrecht körperlicher Natur war. Akers bestand darauf, dass Michaelson das Mädchen ebenfalls gesehen hätte.
Ich warf Moore und Walters einen Blick zu, woraufhin Moore berichtete, Michaelson sei verschwunden. Der Ankerwachmann hatte ein Platschen gehört, als sei jemand über Bord gegangen, und kurz darauf hatte Moore Akers an Deck gefunden.
Ich warf einen seitlichen Blick auf Akers, der sich in seinem Stuhl krümmte und wand. Ich bot ihm einen starken Whiskey an und er kippte ihn dankbar hinunter. Dann schloss er die Augen, lehnte sich im Stuhl zurück und hielt mir dann sein leeres Glas hin. Ich zögerte, wollte ich doch nicht gern damit herausrücken. Dieser Whiskey ist ein edler Tropfen, den mir ein sehr guter Freund einst geschenkt hatte. Jedoch war ich mir im Klaren darüber, dass ich nie die ganze Geschichte zu Gehör bekäme, wenn ich Akers nicht noch einen Whiskey anbot. Also goss ich ihm ein weiteres Glas ein, das er ebenso rasch leerte wie das erste. Nun gelang es ihm auch, sich zusammenzunehmen, und so fuhr er mit seiner Geschichte fort.
Er erzählte, das Mädchen im Wasser hätte mit engelsgleicher Stimme für ihn gesungen. Ihre Sprache sei ihm seltsam fremd erschienen – möglicherweise war es die Sprache des Himmels, sicher war er nicht. Weiter berichtete er, sie sei immer wieder mit dem Gesicht voran untergetaucht, sodass ihr Kopf unmittelbar unter der Wasseroberfläche schwebte. Dann sei sie wieder aufgetaucht. Als eine kurze Zeit verstrichen war, begann sie, ihn und Michaelson zu rufen. Akers fürchtete, sie sei am Ertrinken, und so wollte er sich über die Reling stürzen, um sie zu retten.
An diesem Punkt unterbrach ich ihn und fragte ihn, wie er denn wohl beabsichtigt habe, wieder zurück an Bord zu gelangen. Es gelingt mir kaum, den Ausdruck auf seinem Gesicht zu beschreiben. Er sah schlichtweg schockiert aus, ganz als sei er extra für meine Frage von den Toten auferweckt worden. Er massierte sich die Schläfen und sagte, er sei wie benommen gewesen. Als habe er unter einem Zauber gelegen. Er schüttelte zweimal den Kopf, wie um den Nebel darin zu vertreiben.
Weiter lautete sein Bericht, er sei soeben im Begriff gewesen, über die Reling zu klettern, als er ein platschendes Geräusch gehört und Michaelson gesehen habe, wie er zu dem Mädchen schwamm,
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