Sirenenfluch
um es vor dem Ertrinken zu retten. Er war keine fünf Meter mehr von ihr entfernt, als ihr Kopf wieder unter der Wasseroberfläche verschwand und sie nicht mehr zu sehen war. Doch da war etwas in der Art ihrer Kopfbewegung – kurz bevor sie verschwand, tauchte sie mit ihrem Gesicht unter Wasser. Es schien, als hielte sie nach etwas Ausschau. Noch bevor Akers einen Warnruf loslassen konnte, wurde Michaelson in die Tiefe gezogen. Akers sagte, Michaelson hätte nicht einmal Protest erhoben. »Wie ’n Stein is’ er gesunken und gesunken und is’ nich’ wieder aufgetaucht.«
Gegen Ende seiner Erzählung wurde seine Stimme immer leiser. Er sah aus wie ein Mann, der von Furcht überwältigt ist. Dies konnte ich ihm nicht verdenken, hatte seine Geschichte doch auch mir das Blut in den Adern gefrieren lassen. Nun besteht kein Zweifel mehr – Akers hat den Verstand verloren.
Er hat Michaelson getötet.
Ich trug Moore auf, Akers für den Rest unserer Reise unter Deck in Ketten zu legen.
Akers schrie und flehte mich um Gnade an, doch Moore und Walters schleiften ihn davon.
Ich bete zu Gott, dass uns weiterer Ärger mit ihm erspart bleibt.
30. Juli
42° 20’ N, 68° 30’ W
Nach wie vor weht ein frisches Lüftchen.
Nicht gerade das, was ich eine steife Brise nennen würde, doch es reicht aus, um das Segeltuch zu blähen. Die prallen Segel erinnern mich an die stolzgeschwellte Brust eines Vaters. Und in der Tat, wie ein stolzer Vater fühle ich mich auch, wenn ich an Deck meine Männer ihre harte Arbeit verrichten sehe, wie sie die Leinen sichern und in die Takelage hinaufklettern.
Ich habe es mir zur Gewohnheit werden lassen, mehrmals täglich, sowohl tagsüber als auch nachts, auf Deck spazieren zu gehen. Braithwaite sang vor sich hin, während er in die Takelage zum Mastkorb hinaufstieg. Obschon es eine melancholische, klagende Melodie war, zauberte sie ein Lächeln auf meine Lippen. Die Männer singen wieder.
Moore stand an der Reling und blickte hinaus auf die bewegte See. Einige der Wellen trugen weiße Schaumkrönchen, die der Wind davontrug.
Ich stand an seiner Seite und betrachtete den blauen Himmel über uns, der sich zum Horizont hin zunehmend weiß färbte. Wohin man auch blickte, sah man nichts als Wasser. Ich merkte an, dass man sich fühle, als sei man mutterseelenallein auf dieser Welt.
Moore meinte, dies seien wir keinesfalls.
Seine Worte kamen mir vor wie ein Schlag ins Gesicht und ich bat ihn um eine Erklärung.
»Es ist doch schließlich so, dass wir uns als Mannschaft haben, oder nicht? Und außerdem einen ganzen Haufen Fische unter uns und weiß Gott, was noch alles.«
Dies waren Worte, die ich ungern hörte, was ich ihm auch mitteilte. Sodann wurde ich von Moore gefragt, ob ich mir meiner Sache bezüglich Akers sicher sei. Ich fragte, ob er einen Grund zu der gegenteiligen Annahme hätte. Daraufhin berichtete Moore, Akers sei stumm wie ein Fisch, seit man ihn unter Deck gesperrt habe, und verhalte sich allen gegenüber äußerst freundlich. Moore sagte, die Männer wüssten gerne, weshalb Akers weggesperrt sei, wo wir doch ohnehin auf drei Männer verzichten müssen.
Ich hielt dagegen, Akers habe den Verstand verloren und Michaelson getötet. Des Weiteren teilte ich ihm mit, dass die Mannschaft meiner Einschätzung zufolge von neuem Tatendrang erfasst sei, gleich einem tiefen Seufzer der Erleichterung, seitdem sich Akers unter Deck in Gewahrsam befände.
Hierzu meinte Moore, dies sei gut möglich, wenn da nicht Hawken wäre.
In dem Moment verlor ich die Beherrschung und gab Moore eine schallende Ohrfeige. Er sah mir in die Augen – und sein Blick war voller Scham und Abscheu. Ich spürte es an mir kleben wie Pech. Vielleicht glaubte ich auch lediglich, es in seinem Blick zu lesen. Noch niemals zuvor hatte ich einen meiner Männer geschlagen und in einer solchen Situation fehlten mir schlichtweg die Worte. Nur mit allergrößter Mühe gelang es mir, mich zusammenzureißen.
Moore starrte hinaus zum Horizont. Er blickte mich nicht an, doch er sagte, er hätte gehört, wie die Männer sich unterhielten. Sie haben Angst, dass Hawken uns verflucht haben könnte. Dass er, nachdem wir ihn zurückgelassen hatten, eine Hexe auf unser Schiff geschickt hätte. Die Worte kamen nur so aus seinem Mund gesprudelt und glitten unter die Wasseroberfläche wie ein Leviathan.
Braithwaites Gesang drang herunter an mein Ohr. Es klang wie eine Totenklage.
Moore fügte noch hinzu, die Matrosen
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