Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
Vom Netzwerk:
Jahren völlig abgegriffen.
    Er sah Mrs McFarlan an und sie nickte ihm aufmunternd zu. Ganz, ganz langsam öffnete er das Buch und schlug es irgendwo in der Mitte auf. Auf der Seite stand folgende Überschrift: 15. Juli 1884. Die Seite war von oben bis unten mit einer gleichmäßigen, engen Handschrift beschrieben worden.
    »Das ist ein Kapitänslogbuch«, wurden sie von Mrs McFarlan aufgeklärt.
    »Arthurs Großvater war noch sehr jung, als er auf See verschollen ist. Sein Schiff fand man zerborsten auf einer Sandbank wieder, nicht einmal tausend Meter vom Haus entfernt.«
    »War er der Kapitän?«, fragte Angus.
    Seine Großmutter nickte. »Ja. Rowan McFarlan.«
    »Hast du es gelesen?«, wollte Angus wissen.
    »Das habe ich«, antwortete sie. »Es beweist lediglich, dass es in dieser Familie nur Verrückte gibt.« Doch ihre Stimme klang dumpf.
    Es kostete Will einige Überwindung, seine Hand vom Buch zu nehmen. »Dürfte ich es mir mal ausleihen?«
    »Das solltest du unbedingt.« Mrs McFarlan blickte aus dem Fenster. Im Zimmer war es dunkler geworden und Will sah, wie sich am Horizont schwarze Wolken zusammenballten. »Wenigstens hat die Hitze für kurze Zeit ein Ende«, sagte sie.
    »Wir gehen mal lieber, sonst werden wir noch pitschnass«, meinte Angus. Er beugte sich zu seiner Großmutter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke, Gran.«
    Sie wandte sich an Will und sah ihn mit ihrem durchdringenden Blick an. »Das Buch will ich wieder zurück.«
    Will nickte. »Auf jeden Fall.«
    Angus hielt die Verandatür auf und Will wollte gerade hinausgehen, da rief Mrs McFarlan ihn noch einmal zu sich.
    »Du solltest diesen Bekannten im Auge behalten«, warnte sie ihn. »Den, der die Seekrieger gehört hat.«
    »Ich dachte, du glaubst gar nicht, dass es sie gibt«, wunderte sich Angus.
    Sie sah Will unverwandt an. »Du musst auf ihn achtgeben«, beschwor sie ihn.
    »Das werde ich«, entgegnete Will und es war wie ein stiller Pakt, den sie miteinander geschlossen hatten.
    Sie traten hinaus in die schwüle Luft und schafften es gerade noch in Angus’ rostigen Ford, als es auch schon anfing, wie aus Kübeln zu gießen. Der Regen rann nahtlos an der Windschutzscheibe herunter. Angus warf einen Blick auf das Buch, das fest zwischen Wills Knien klemmte. »Heute scheint unser Glückstag zu sein«, meinte er.
    »Aber echt«, sagte Will, der sich dessen noch nicht allzu sicher war.
     
    Drei Tage lang rührte Will das Buch nicht an. Es lag einfach so zugeklappt oben auf seinem Schreibtisch. Will brannte darauf, es zu lesen. Allerdings widerstrebte es ihm, nur hin und wieder mal einen kurzen Abschnitt zu lesen. Lieber wollte er seine Ruhe mit dem Buch haben, es regelrecht studieren.
    Die Zeit dafür hatte er jedoch nicht. Die Sonnenblumenernte stand an. Die Pflanzen waren so groß wie er selbst und von ihren kräftigen, mit stacheligen Härchen übersäten Stängeln bekam er wunde Hände. Frühmorgens erntete er die Tomaten, so lange, bis die Sonne unerträglich stechend wurde. Er erntete knackig-grüne Salate und Rucola, die im Verkauf Spitzenpreise einbrachten, dann brauste er sie in einem riesigen Edelstahlbecken ab. Will jätete Unkraut, bedeckte die Beete mit Heu und kümmerte sich darum, dass die Hühner gefüttert wurden. Neulich war ihm morgens aufgefallen, dass das kleinste unter ihnen – das mit dem verkrüppelten Beinchen – von den anderen Hühnern übel zugerichtet worden war. Er behandelte die zwei offenen Wunden und trennte das Huhn von der restlichen Schar. Aus Holz und Maschendraht baute er ihm einen kleinen Käfig, in dessen Ecke er eine Hühnerstange befestigte. Er hatte Mitleid mit dem armen Huhn, das ganz allein in seinem Käfig hockte und die anderen Hühner beobachtete wie ein einsames Kind, das im Haus bleiben muss und sehnsüchtig den anderen beim Spielen zuschaut. Aber was konnte er anderes tun? Wenn er es zu der Hühnerschar ließ, würden sie es tothacken.
    Will arbeitete zudem auch noch am Gemüsestand mit. Es war Haupterntezeit und die Leute kauften, was das Zeug hielt. Die selbst gebackenen Scones und Muffins seiner Mutter waren in der Regel gegen halb zehn Uhr morgens bereits ausverkauft. Der Stapel New York Times-Zeitungen war sogar noch früher verschwunden. Tomaten, Dahlien, Brombeeren, Zucchini, Paprika, Kürbis, Mais … Oftmals stand Will fünf Stunden lang ohne Pause hinter dem Verkaufstresen. Da er keine Zeit hatte, um auf die Toilette zu gehen, hielt er sich frühmorgens mit dem

Weitere Kostenlose Bücher