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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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betrachtete ihn aufmerksam und trommelte dabei mit ihren Fingern auf die Tischplatte. »So etwas in der Art. Allerdings nicht wie die Meerjungfrauen auf Bildern. Keine Schwanzflossen oder irgend so ein Unsinn. Eher wie wilde Meeresfrauen.«
    »Dann erinnerst du dich also doch noch an die Erzählungen«, stellte Angus fest.
    »Ja, das tue ich. Arthur hat sie nie hundertprozentig geglaubt, denke ich.« Der Vogel veranstaltete einen Riesenlärm und Mrs McFarlan stand auf und ging zu seinem Käfig. »Na los, Schätzchen, komm raus da.« Sie warf ihm schmatzend einen Kuss zu und hielt dem Nymphensittich einen Finger hin.
    »Und, können Sie uns etwas über die Seekrieger erzählen?«, drängte Will.
    Die alte Dame schrie jäh auf und zog ihre Hand aus dem Käfig. Dort, wo der Vogel sie mit dem Schnabel erwischt hatte, rann ein dicker Blutstropfen ihren Finger hinunter. Angus griff nach einem geblümten Geschirrhandtuch und reichte es seiner Großmutter, doch sie blickte ihn nur finster an und nahm sich ein Stück Küchenpapier. »Verrückter Vogel«, murmelte sie vor sich hin und drückte das Küchenpapier auf ihren Finger.
    »Tut mir leid, Gran«, sagte Angus.
    »Und auch noch in meine rechte Hand.« Mrs McFarlan schüttelte entrüstet den Kopf, während der Nymphensittich kreischend mit dem Kopf auf- und niederwippte. »In dieser Familie ist auch wirklich jeder verrückt.« Sie kniff die Augen zusammen und sah Angus misstrauisch an. »Weshalb interessierst du dich überhaupt so für die Seekrieger?«
    »Na ja, weil … ich mich nicht mehr an ihre Geschichten erinnern konnte«, erwiderte Angus mit dünner Stimme.
    »Es ist meinetwegen«, warf Will an dieser Stelle ein. »Ich kenne da so jemanden, der glaubt, er hat eine solche Seekriegerin gesehen.«
    »Du kennst da so jemanden?«
    »Gut möglich, dass er einfach auf Drogen ist«, meinte Will. »Oder durchgeknallt.«
    »Er will eine gesehen haben?«, hakte Mrs McFarlan nach und guckte ungläubig.
    »Er hat sie gehört«, stellte Will richtig.
    Das Kunststoffkissen knatschte, als Mrs McFarlan sich schwerfällig darauffallen ließ. »Er hat sie also gehört«, wiederholte sie. Sie dachte einen Moment lang nach. Dann stand sie auf und verließ den Raum.
    Will hörte, wie sie das Wohnzimmer durchquerte und sich ihre Schritte entfernten. Holzdielen knarzten, als sie die Treppe hinaufstieg.
    Will und Angus sahen sich an. Der Vogel gab noch einen Schrei von sich und verstummte dann.
    »Kommt es häufiger vor, dass deine Großmutter so unvermittelt aus dem Raum geht?«, fragte Will.
    »Eigentlich nicht.«
    »Vielleicht sollten wir lieber gehen?«
    »Ich weiß auch nicht«, musste Angus zugeben. Anstatt jedoch zur Tür zu laufen, durchquerte er das Zimmer und hielt vor dem Kühlschrank an. »Oh, toll, Limonade!« Er nahm die Flasche heraus und überprüfte, was draufstand. »Und noch nicht mal abgelaufen.« Er schenkte sich ein Glas ein, leerte es in einem Zug und goss sich noch eins ein. Dann holte er ein zweites Glas aus dem Schrank und füllte es bis zur Hälfte für Will. »Ist leider schon leer, Kumpel – sorry.«
    Will rückte sich einen der Stühle zurecht und ließ sich auf dem weinroten Sitzkissen nieder. Für einen Klappstuhl war er überraschend bequem. Der Tisch besaß ebenfalls eine gepolsterte Plastikoberfläche. Angus setzte sich auf den Platz seiner Großmutter und stellte beide Gläser, die so gar nicht zusammenpassten, auf dem Tisch ab. Will trank einen Schluck. Die Limonade war furchtbar süß und überzog seine Zunge mit einer Zuckerschicht. Dennoch war die Kälte des Getränks wohltuend.
    Man hörte die Holzdielen erneut knarzen und dann erschien Mrs McFarlan im Türrahmen. Sie war hochgewachsen und dünn, wie ein Grashalm. Ihre Shorts offenbarten die schlaffe Haut um ihre Knie. Dazu trug sie ein altes, pinkfarbenes T-Shirt. Mit ihrer blonden Kurzhaarfrisur und den dunklen Ansätzen sah sie aus wie eine Blume, die in ihrer Vase zu lange der prallen Sonne ausgesetzt gewesen war, sodass ihre Farben nun langsam verblassten. In der Hand hielt sie ein Buch.
    »Was hast du denn da, Gran?«, fragte Angus.
    »Dies hier hat dein Ururgroßvater geschrieben.« Behutsam legte Mrs McFarlan das Buch auf den Tisch. »Vermutlich gehört es eigentlich in die Hände von irgend so einem Geschichtsverein, aber Arthur wollte sich nie davon trennen.«
    Will streckte eine Hand aus und berührte den Einband sacht mit einer Fingerspitze. Das handgegerbte Leder war nach all den

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