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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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hätten das Gefühl, dieses Schiff sei dem Tod geweiht.
    Der frische Wind wehte mir ins Gesicht. Matrosen sind ein abergläubisches Völkchen. Das war mir durchaus bewusst, sogar, als ich entschied, die Anker zu lichten, obwohl Hawken sich noch immer auf der Insel befand. Ich hätte ahnen müssen, dass die Überlegungen meiner einfältigen Männer sich in eine solche Richtung entwickeln würden.
    Hawken war mit einer kleinen Gruppe auf der Insel gewesen, um Feuerholz zu sammeln, als er plötzlich verschwand. Roberts sagte, im einen Augenblick sei er noch dort gewesen und im nächsten – weg. Wie vom Erdboden verschluckt.
    Drei Tage lang suchten wir nach ihm, während wir gleichzeitig unsere Vorräte auffrischten. Auf der Insel gab es frisches Wasser und eine seltsam anmutende große Frucht mit goldgelbem Fruchtfleisch. Wir sammelten so viele wie möglich davon in Fässern. Walters war es sogar gelungen, ein schweineähnliches Tier mit dem Speer zu erlegen. Das Fleisch war leicht angegangen, aber dennoch schmackhaft, und die Männer hatten sich die Bäuche vollgeschlagen. Dennoch wollte so recht keine fröhliche Stimmung unter ihnen aufkommen. Ich spürte, dass sie sich um ihren Kameraden sorgten.
    Als wir Hawken am vierten Tag noch immer nicht gefunden hatten, beschloss ich, dass wir nicht ewig würden warten können. Hawkens Tod schien mir gewiss, er musste eine Klippe hinuntergestürzt oder von einem wilden Tier getötet worden sein. Die Insel hatte ihn uns genommen, doch wir mussten weitersegeln. Unsere Schiffsladung, bestehend aus Portwein und Seide, wurde bereits erwartet und ich war noch von meinen Vorgesetzten gewarnt worden, dass sie nicht den geringsten Aufschub dulden würden.
    Und somit beluden wir am Morgen des fünften Tages die Rettungsboote und ruderten zurück zum Schiff. Den Männern stand die Entrüstung ins Gesicht geschrieben, doch lediglich Akers erhob lauten Protest. Er beharrte darauf, dass Hawken wieder auftauchen würde. Dies tat er jedoch nicht und somit brachen wir auf.
    Wir hissten die Segel, welche sich sogleich strafften, und ich blickte auf das sich immer weiter entfernende Ufer, während unser Schiff aufs offene Meer hinaussegelte. Ich könnte schwören, dass ich, kurz bevor das Ufer endgültig aus meinem Blickfeld verschwand, nahe dem Strand eine Bewegung ausgemacht hatte – ich sah kurz etwas Rotes zwischen den dicht belaubten Bäumen aufblitzen. Dann war das Etwas verschwunden.
    Ich erzählte niemandem davon.
    Ein solches Risiko konnte ich nicht eingehen. Ich befürchtete eine Meuterei, wenn meine Männer glaubten, Hawken könne womöglich noch am Leben sein. Außerdem konnte ich es mir nicht erlauben, im Unrecht zu sein, nicht wahr?
    Ebenso wenig wie jetzt.
    Ich teilte Moore mit, dass ich ganz gewiss nicht vorhatte, Akers freizulassen.
    Moore nickte, salutierte und wandte sich zum Gehen.
    Ein Anführer muss standhaft bleiben. Ich habe meine Lektion als Kapitän dieses Schiffs gelernt. Zweifel sind meine ärgsten Feinde. Auf diesem Schiff dürfen sie keinen Platz haben.
     
    30. Juli
    42° 22’ N, 69° 15’ W
    Ein weiterer Mann – Iverson – wird vermisst. Und das, obwohl Akers sich unter Deck in sicherem Gewahrsam befindet.
    Mir fehlt die Zeit, meinen Verdacht niederzuschreiben, da vor meiner Kajüte soeben ein Tumult entsteht.
     
    Später
    Es war Moore. Herr im Himmel, er sah aus wie ein Wilder, als ich die Tür öffnete. Er brabbelte unverständlich etwas von Kindern, Mädchen, denen wir zu Hilfe eilen müssten. Dann zerrte er mich auf Deck, doch als er backbords auf das Wasser zeigte, war dort nichts als die stille See, die sich vor uns erstreckte wie ein Teppich aus schwarzem Samt unter einem silbern leuchtenden Mond.
    Er bestand darauf, sie gesehen zu haben. Ich fragte, wie viele es denn gewesen seien. Er blickte mich an, als könne er nicht einordnen, wer oder was ich sei. Er war unrasiert und die bleiche Haut in seinem Gesicht wirkte schlaff wie ein herabhängendes Segel. Sein Kragen stand offen und er sah völlig verwahrlost aus, so ganz anders als der stets adrette erste Maat, als den ich ihn seit fahren kannte. Mir kam der Gedanke, dass ich überhaupt nicht bemerkt hatte, wie er immer ungepflegter geworden war, und ich fragte mich, welche sonstigen Anzeichen mir beim Rest der Mannschaft entgangen sein mochten. War es am Ende mein eigener Verstand, der umnebelt war? Was war nur mit mir los?
    Schließlich erzählte mir Moore, dass er sieben an der Zahl gesehen hatte.

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