Sirenenlied
Dass deine Hand ins kühle Nass eintaucht?
»So funktioniert das nicht«, erklang Finebirds heisere Stimme hinter ihm. »Um meinen Bildern auf den Grund zu gehen, brauchst du sie nicht zu betatschen, mein Junge. Hinschauen reicht in der Regel vollkommen aus.«
Josh fuhr herum und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Scheint tatsächlich nicht zu funktionieren. Tut mir leid, falls ich was verschmiert habe. Ich habe eben keine Ahnung von Kunst.«
»Ach, ging es hierbei um Kunst?«
Leise vor sich hin brummend, deutete Finebird auf den Küchentisch, an den Josh sich mit einem Anflug von Nervosität setzte. Mit zwei Gläsern und einer etikettlosen Flasche, die mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllt war, gesellte sich der alte Maler zu ihm.
»Ist ein bisschen spät für einen Besuch auf der Steilkippe, möchte ich meinen. Nicht mehr lange und draußen ist es zappenduster.« Ohne zu fragen, schenkte Finebird die Gläser voll und schob eins davon Josh zu.
Josh starrte das Glas an. »Ich bin mir nicht sicher, ob ein Magen voller unverdünntem Whisky die Rückfahrt unbedingt erleichtert.«
»Erstens ist das kein Whisky, sondern Medizin für deine angeschlagenen Nerven. Zweitens lasse ich dich heute ganz bestimmt nicht mehr zurückfahren. Bei dem Sturm und der Dunkelheit würdest du dir das Genick brechen. Irgendwo in diesem Haus liegen ein paar Decken rum, mehr braucht so ein robuster Bursche wie du nicht für ein Nachtlager. Wir haben also ausreichend Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen, die dir auf der Seele lastet.«
»Aha«, murmelte Josh, der unschlüssig das Glas in den Händen hielt.
Die Vorstellung, sich jemandem anzuvertrauen, war äußerst verlockend, nachdem er in den letzten Jahren alles mit sich allein ausgemacht hatte. Aber er hatte damit erst vor wenigen Stunden bei Eileen Schiffbruch erlitten. Zwar sah es für einen Moment lang tatsächlich so aus, als hätte er in der jungen Frau mit dem Lockenkopf eine Vertraute gefunden, die ihm aus dieser auswegslosen Situation helfen konnte. Und seit dem letzten Besuch der Sirene war ihm klargeworden, dass es ihm nicht auf eigene Faust gelingen würde. Wenn sie allein über seine Träume so viel Macht ausüben konnte, wie würde es dann erst sein, sobald sie ihm leibhaftig gegenüberstand? Doch Eileen hatte sich derart unvermittelt und mit einer Heftigkeit von ihm abgewandt, die ihn immer noch schlucken ließ. Nicht, dass er ihr diese Reaktion übelnahm. Es gab schließlich keinen vernünftigen Grund, warum sie ihm helfen sollte. Oder warum sie ihm überhaupt glauben sollte.
Nachdem Eileen kreidebleich sein Haus verlassen hatte, als sei sie auf der Flucht, war er wortlos dagestanden, ohne
eine Idee, wie er mit dieser Zurückweisung umgehen sollte, hatte sie ihn doch gerade erst fast geküsst. Eine Frau zu verstehen, war allem Anschein nach mindestens so unmöglich, wie sich den Verlockungen einer Sirene mit heiler Haut zu entziehen.
Später nämlich, als er auf dem Weg zu Logan gewesen war, um Benzin zu holen, hatte er bei Eileen geklingelt. Er hatte ihr sagen wollen, dass es falsch von ihm gewesen war, sie mit seinen verqueren Gedanken zu belästigen, dass er aber nichtsdestotrotz froh wäre, wenn ihr Angebot trotzdem noch bestehen würde. Diesen Satz hatte er sich jedenfalls vorher zurechtgelegt. Vielleicht hätte er stattdessen auch kurzerhand behauptet, dass es ihm nur darum gegangen sei, sie aufzuziehen, falls sie sich wieder etwas zugänglicher gezeigt hätte. Zuzutrauen war ihm so ein ruppiges Verhalten in der letzten Zeit nämlich durchaus. Und mit dieser Taktik fuhr man ganz gut, um jemanden auf Abstand zu halten. Allerdings musste sich Josh allmählich eingestehen, dass er auf diese Weise nicht weiterkam. Denn entgegen seiner sonstigen Art fiel ihm nichts ein, wie er mit diesem Problem fertigwerden sollte. Komplizierte Technik und Hausruinen waren eine Sache, verführerische Wassergeschöpfe eine ganz andere. Ich werde untergehen, weil ich bei der Sirene nicht durchblicke, hatte er sich irgendwann im Laufe des Tages zähneknirschend eingestanden.
Nachdem Josh bei den Rutherfords geklingelt hatte, war es jedoch nicht Eileen gewesen, die ihm die Tür geöffnet hatte, sondern ihre Großmutter, eine hagere Frau, deren Glieder seltsam verdreht aussahen. Bevor ihm auch nur ein Ton über die Lippen gekommen war, hatte die alte Frau aufgeschrien, als stünde der Leibhaftige persönlich vor ihr,
und hatte die Tür mit einem erstaunlich kräftigen
Weitere Kostenlose Bücher