Sirenenlied
Knall vor seiner Nase zugeschlagen. So viel dazu.
Bis heute Morgen war Josh der festen Überzeugung gewesen, dass er diese Angelegenheit allein ausfechten musste, weil es falsch wäre, jemanden mit hineinzuziehen. Schließlich fand er doch auch ansonsten für alles eine Lösung! Dann war Eileen auf einmal aufgetaucht und hatte ihm unverhofft Halt angeboten. Gut, einen Augenblick später war sie Hals über Kopf davongerannt, aber das warme Gefühl, das ihre Worte ausgelöst hatten, war nichtsdestotrotz da.
Obwohl er wusste, wie einem der Whisky in den Augen brannte, nahm er einen kräftigen Schluck. Und dann noch zwei weitere. Mit einem heiseren Seufzen sank er auf dem Stuhl in sich zusammen.
»Tut gut, was?«, erkundigte sich Finebird mit einem verschwörerischen Blinzeln.
Josh musste husten, ehe er eine verständliche Antwort zustande brachte. »Das Zeug ätzt auf dem Weg zum Magen alles weg, was sich ihm in den Weg stellt.«
Während er sich die Tränen aus den Augen wischte, stellte er fest, dass er sich tatsächlich schon wesentlich gefestigter fühlte. Vielleicht sollte ich mein Sirenenproblem einfach in Whisky ertränken, dachte er übermütig. Dann erinnerte er sich jedoch daran, dass einige der Männer von Cragganmore genau das getan hatten - nach dem Motto: Wer sturzbetrunken ist, ertrinkt zumindest nicht in den Armen einer Sirene. Keine schöne Alternative, entschied Josh.
»Mr. Finebird, Sie möchten doch immer, dass ich mir Ihre Bilder anschaue und Ihnen sage, was ich in ihnen sehe. Außer blaue Farbe, meine ich.«
Finebird, der gerade an seinem Glas nippte, guckte ihn nachdenklich an, und schließlich nickte er.
»Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich wirklich mehr als blaue Farbe sehe? Und damit meine ich nicht Ihre künstlerische Botschaft oder so.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann sagte Finebird nicht unfreundlich: »Nun rück schon endlich raus mit der Sprache, Junge. Was hast du gesehen?«
»Einen Umriss, der sich hinter Wasserfluten abzeichnete. Dabei war es so, als wäre ich selbst unter Wasser, aber ohne dass es mir etwas anhaben konnte. Als würde mich eine Art Schutzfilm umgeben, der mich vor der Kälte und vor allem vor Sauerstoffmangel bewahrt.«
»Einen Schutzbann gegen die Unbillen des Meeres«, brachte Finebird es auf den Punkt. »Das würde bedeuten, dass du nicht nur etwas gesehen, sondern auch etwas gehört hast. Eine Einladung nämlich. Die muss jedoch schon von deiner Sirene ausgesprochen worden sein, bevor du durch meine Bilder ins Meer eingetaucht bist.«
Josh klappte der Unterkiefer nach unten. Mit vor Schreck ungeschickten Fingern griff er nach dem Glas und nahm einen weiteren Schluck. »Sie wissen also über das Sirenenlied Bescheid?«, fragte er, wobei ihm seine eigene Stimme seltsam fremd klang.
»Ich wäre ein schlechter Maler, wenn ich meine Augen vor der Wahrheit verschließen würde«, antwortete Finebird leichthin. »Die Hebriden, vor allem Cragganmore Island, liegen inmitten eines uralten Kraftfelds. Deshalb bin ich vor einigen Jahren hierhergekommen, weil ich von der Energie dieser Gegend profitieren wollte. Ein ganz besonderer Musen-Kuss sozusagen. Die Inseln werden von einem Strom aus Magie umspült, dem die Sirenen folgen.
Ruhelose Wassergeister, erfüllt von der Sehnsucht nach Halt.«
»Das verstehe ich nicht.« Josh rieb sich die Schläfen in der Hoffnung, seinen leicht umnebelten Verstand auf Touren zu bringen. Aber vielleicht konnte man so ein Gespräch auch gar nicht nüchtern führen. »Die Sirenen locken die Männer mit ihrem Gesang ins Verderben, denn bei dem Versuch, der singenden Stimme zu folgen, ertrinken sie. So heißt es zumindest.«
»Ja, so heißt es, was aber noch lange nicht bedeutet, dass es auch so ist. Die Sirenen sind wie das Meer: immer in Bewegung und gleichzeitig den Gesetzen der Natur folgend. Wonach sehnt sich das flüssige Element?« Finebird goss eine bernsteinfarbene Lache in seinen gekrümmten Handteller, so dass der Whisky einen kleinen See bildete. »Nach dem festen Element, das ihm eine Form verleiht. Wenn die Sirenen das Meer sind, dann sind die Männer von Cragganmore der Fels, an dem sie sich festhalten wollen, um nicht vom Strom weitergezogen zu werden.«
»Nun, an einem Toten kann man sich schlecht festhalten«, erwiderte Josh mit einem harten Zug um den Mund. »Wenn die Sirenen sich tatsächlich an einen Mann binden wollen, um dem magischen Strom zu entkommen, warum statten sie ihm
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