Sirup: Roman (German Edition)
lebensmittelvermarktung
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samstags nachts in der großen stadt
Ich begreife sehr rasch, daß ich nur mit 6s Hilfe auf eine Unterkunft hoffen darf. Da ich ihr diesmal zufällig einen gigantischen Gefallen erweise, stelle ich mir vor, daß meine Chancen nicht schlecht stehen.
Es ist jedoch schon fast vier Uhr. Deshalb beschließe ich, sie nicht vor dem Morgen mit meinem Anruf zu behelligen. Ich laufe drei Stunden lang durch Santa Monica – vorbei an zahllosen Gassen, Hauseingängen und kleinen einladenden Parks, die jedoch alle schon besetzt sind. Die Leute, die ich dort sehe, klammern noch mickrigere Kleiderbündel an sich als ich selbst. Als es dann hell wird, bin ich so fertig und so heiß auf eine Dusche, daß ich es nicht länger aushalte. Ich entdecke sogar ein Münztelefon, wähle 6s Nummer und überlasse mich diffusen Hoffnungen.
Sie nimmt nach dem vierten Läuten ab. »Hallo?« säuselt sie honigsüß.
»6. Hier spricht Scat. Fabelhafter Morgen, was?«
Kurzes Schweigen. »Hallo, Scat«, sagt sie dann vorsichtig.
»6, es gibt da noch was, das wir unbedingt besprechen sollten«, erkläre ich großkotzig. »Was dagegen, wenn ich schnell mal vorbeischau?«
»Sie – hierherkommen?« sagt 6 alarmiert.
Ich gehe im Geist noch mal schnell durch, was ich gesagt habe, weil – vielleicht habe ich ja geröchelt: Ich möchte es jetzt mit dir bis zur Erschöpfung treiben. Allerdings bin ich ziemlich zuversichtlich, daß dies nicht meine Worte gewesen sind. »Ja, genau das.«
»Nein.«
»Oh.« Das zwingt mich nun freilich, meinen Plan neu zu überdenken: Bis dahin hatte ich nämlich gehofft, bei ihr durch die Vordertür hereinzuschlüpfen. Ich will sie schon fast fragen, warum nicht, doch dann kneife ich. »Oh, also… vielleicht irgendwo anders?« Ich sehe mich um. »Wie wär’s mit einem Kaffee am Strand? Ich bin im Watchers in Santa Monica.«
»Okay«, sagt sie und legt auf.
Ich lege ebenfalls auf. »Okay«, sage ich zu mir selbst. »Okay.«
Wirklich toll, wenn mal irgendwas okay ist.
scat und 6 gehen an den strand
Ich beschließe, mich auf die Steinmauer zu setzen, die den Gehsteig vom Strand trennt, damit ich sehen kann, wie 6 vorfährt. Vor allem interessiert mich natürlich, was für einen Wagen sie fährt, weil ich mir auch davon Aufschluß über ihre Persönlichkeit erhoffe. Immerhin besitze ich selbst gar kein Auto, was in der Tat ziemlich viel über mich aussagt.
Als 6 dann eine Stunde später aufkreuzt, sehe ich zu meiner Verwunderung, daß sie zu Fuß daherkommt. Ansonsten ist sie mit heißen weißen Shorts und einem schwarzen Hemdchen ausgestattet, was mich so fertigmacht, daß ich mich erst mal an der Mauer festhalten muß. Sie entdeckt mich und kommt zu mir herüber.
»Hey«, sage ich. »Heute mal zu Fuß unterwegs?«
»Ich liebe es zu gehen«, sagt sie knapp.
»Wie definitiv unkalifornisch«, entgegne ich verwegen. 6 würdigt mich keiner Antwort.
Wir setzen uns in ein gemütliches kleines Café mit Blick aufs Meer und bestellen zwei Kaffee. Ihre eindrucksvolle Tasche, die sie wieder mal aus dem Nichts hervorgezaubert hat, hängt 6 über die Rücklehne ihres Stuhls. »Und – was gibt’s?«
»Ach so, ja«, sage ich. »Hmm, also der tollste Werbegag in der Geschichte des Marketing ist mir letzte Nacht jedenfalls nicht eingefallen, wenn Sie das vielleicht meinen.«
»Oh.« Für den Bruchteil einer Sekunde macht sie ein fast bestürztes Gesicht. »Nein. Natürlich nicht.«
»Allerdings möchte ich gerne über ein paar Sachen reden. Erstens: Sie müssen mich irgendwie bei Coke einschleusen.«
»Gut.« 6 hat das offenbar erwartet. Fast jede große Werbung beruht auf gründlichen Recherchen, und ich bin sicher, daß sie das weiß.
»Das ist also kein Problem?«
»Nein.«
» Oh . Natürlich nicht.« Ich flippe jetzt voll aus. Ich bin ohne Wohnung und habe seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen. »Sollte Sie je irgendwas aus der Fassung bringen, wäre ich Ihnen für einen entsprechenden Hinweis dankbar.«
6 starrt mich völlig ungerührt an.
»Ich meine«, fahre ich dann etwas überdreht fort, »Sie wollen doch, daß wir zusammen diese Superwerbung kreieren. Und falls es Ihnen damit
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