Sirup: Roman (German Edition)
Sonnenlicht schon sehr bald großflächig abblättert.
Ferner sorge man dafür, daß möglichst zwanzig Jahre oder länger niemand irgend etwas repariert oder in Schuß hält oder sonstwie Hand anlegt.
Danach vermiete man die Bruchbude an College-Absolventen.
fukk
»Da wären wir also«, sagt 6 ein bißchen aggressiv.
»Ich bin schon dankbar für ein Dach über dem Kopf«, sage ich, und so blöde es auch klingen mag, es ist ehrlich gemeint.
6 stößt einen Seufzer aus und marschiert dann Richtung Treppenhaus. Ich beschließe, ihrer Einschätzung der Sicherheitslage mehr zu vertrauen als meinem eigenen mulmigen Gefühl, und folge ihr. Als wir schließlich ihre Wohnung im dritten Stock erreichen, erdreiste ich mich zu der Mitteilung: »Genau das hab ich vorhin gemeint. Sie hatten Angst, Ihr Image könnte einen Totalschaden erleiden, wenn ich die Bude hier sehe.«
Sie schmeißt mir einen vernichtenden Blick der Geringschätzung zu. »Hab ich je behauptet, daß ich reich bin? Ich arbeite ja erst seit vier Monaten bei Coke. Und außerdem muß ich noch ein Stipendium zurückzahlen.«
Ich will ihr schon widersprechen, doch verdammt noch mal, nach dem lesbischen Ding und dem Einundzwanzig-Jahre-alt-Ding und dem Wie-sie-zu-ihrem-Namen-gekommen-ist-Ding muß ich konstatieren, daß sie mir wenigstens in diesem einen Punkt keinen Bären aufgebunden hat. »Oh.«
6 öffnet die Tür, und ich folge ihr mit meinem Bündel unter dem Arm in die Wohnung. Sie hat die Bude richtig nett hergerichtet – auf eine preiswerte College-Studenten-Filmplakat-an-den-Wänden-Art sogar echt cool. Von der winzigen Küche aus tritt man ins Wohnzimmer mitsamt Fernseher, Videogerät, Stereoanlage, Sofa und eingerahmtem Diplom. Ich nehme unverzüglich das Diplom in Augenschein und entdecke zu meiner Bestürzung, daß 6 tatsächlich in Stanford ihren Abschluß gemacht hat. Das paßt mir nun überhaupt nicht in den Kram. »Also waren Sie tatsächlich in Stanford ?«
Sie würdigt mich keiner Antwort.
»6, tut mir leid, daß ich daran gezweifelt habe. Wirklich beeindruckend.«
»Danke«, sagt sie tonlos. Sie nimmt eine Dose Pepsi aus dem Uraltkühlschrank. »Was zu trinken?«
Ich staune: » Sie trinken Pepsi?«
6 zuckt mit den Achseln. »Marktforschung. Ich trinke alles.«
»Und was haben Sie alles da drin?«
»Pepsi, Pepsi Max, Diät-Pepsi, 7 Up, Fanta, Diät-Fanta, Classic Coke, Diät-Coke, Cherry Coke, White Coke…«
» White Coke?«
»Ein Versuchsballon.«
»Wow, klingt echt cool. Und wie schmeckt das Zeug?«
»Wie Coke«, sagt 6.
»Na ja«, sage ich, »unterscheidet es sich denn irgendwie, sagen wir, von Classic Coke?«
»Nur die Dose ist anders«, sagt 6.
Ich warte, doch 6 schaut mich bloß an. »Wie – und das ist schon alles?«
»Nein«, sagt sie. »Das Zeug ist außerdem doppelt so teuer.« Sie gießt sich eine Pepsi ein. »Wir versuchen, eine lukrativere Zielgruppe anzusprechen.«
»Und Sie meinen wirklich, daß diese Leute für eine weiße Dose den doppelten Preis hinlegen?« frage ich erstaunt. »Obwohl das Zeug um keinen Deut anders schmeckt?«
6 zeigt mir ihre umwölkte Stirn. »Hab ich vielleicht gesagt, daß es genauso schmeckt ? Ich hab nur gesagt, es ist genau das gleiche Gebräu.« Sie nippt an ihrem Pepsi und wartet, daß bei mir endlich der Groschen fällt.
»Also enthalten die Dosen besondere chemische Substanzen?« frage ich hoffnungsvoll. »Die den Geschmack verändern?«
»Die beliebtesten Pastasaucen Amerikas werden von einem Hundefutterhersteller produziert. Glauben Sie, daß die das in der Werbung sagen?«
»Nein«, sage ich aufs Geratewohl.
»Geschmack ist Marketing «, sagt 6 bestimmt.
»Soso«, sage ich.
»Und dann hab ich noch Iridium, eine unabhängige Marke, die wir demnächst aufkaufen und versenken, und Fukk.«
Ich japse: »Sie haben Fukk ?«
»Ja, natürlich«, sagt 6. »Ist doch mein Produkt.« Ihre grandiosen Augenbrauen rutschen nach unten. »Oder besser – war .«
Unter Aufbietung all meiner Kräfte gelingt es mir, nicht augenblicklich zum Kühlschrank zu hechten. »Kann ich es mal sehen? Ist es eine Flasche oder eine Dose? Und wie ist die Verpackung?«
6 weist mit der Hand Richtung Kühlschrank. Ich trete so gefaßt wie möglich in die Küche und schaue in das Fach.
Vor mir steht eine ehrfurchtgebietende Limonadensammlung, doch Fukk sticht mir sofort ins Auge. Seine tiefschwarzen Konturen heben sich trotzig von den leuchtenden Rot- und Blautönen ab. Es steht einfach da und
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