Sirup: Roman (German Edition)
Computer entdeckt, daß das Unternehmen früher sogar Coke-aromatisierte Zigarren vertrieben hat. Eine Stunde damit zugebracht, das zu überprüfen, weil ich es anfangs für einen Witz gehal-ten habe. Doch es ist wirklich wahr. Sie haben das tatsächlich ge-macht.
Höhepunkt des Tages: 6 hat einen heftigen Streit mit Marketingfutzi direkt vor meinem Büro. Habe durch die Sichtblende geschaut und draußen einen hysterischen jungen Mann in blauem Hemd und mit Mickymausschlips gesehen: glaubt offenbar, daß 6 die Druckabzüge für die Sommerkampagne zu spät liefert. 6 hat sich im Griff, aber ihre dunklen Augen verraten Angst. Schnell Minesweeper deaktiviert und wieder an die Arbeit gemacht. Noch immer keine Idee.
DONNERSTAG
Den ganzen Morgen hart gearbeitet. Keine Ideen. Deprimiert. Habe Gurkensandwiches runtergewürgt und zur Entspannung Minesweeper gespielt. Schlecht gespielt und das ganze Spiel in einem Wutanfall aus dem Computer gelöscht. Schon nach einer Stunde habe ich diesen Fehler bedauert.
Leute auf den Korridoren bei Coke schweigsam, mit zusammengepreßten Lippen und grimmigen Gesichtern. Gelegentlich schaut einer von ihnen durch mein Fenster. Da offiziell niemand weiß, daß ich hier bin, staunen sie vermutlich, wer zum Teufel ich eigentlich bin.
schätze der vergangenheit
»Scat«, sagt 6 vorsichtig. Wir essen heute abend indisch, und der ganze Boden steht voller kleiner Plastiknäpfe. »Ich habe das Gefühl, daß wir mit der Kampagne nicht weiterkommen.«
»Na ja, immerhin hab ich eine Idee…«
6 seufzt. »Auf keinen Fall werden wir New York mit einem Riesenball in Trümmer legen. Witzige Idee, aber damit verkaufen wir nicht unser Produkt.«
Wie wahr, wie wahr. »Ist ja schon gut.«
»Sie müssen doch in den Dateien irgendwas gefunden haben. Es muß doch was geben.«
Offenbar denkt 6 an Ogilvy. David Ogilvy hat nach Meinung vieler den wohl besten Werbetext aller Zeiten geschrieben, und entdeckt hat er diesen Text dank intensiver Recherchen. Der Kunde war Rolls-Royce, und Ogilvy fand in dem Bericht eines Ingenieurs eine Zeile, die er ziemlich wörtlich in seinen Text übernahm. »Bei hundert km/h hören Sie in diesem Rolls-Royce nur das Ticken der elektrischen Uhr.« Unglaublich kreativer Slogan, der sofort hängenbleibt und zufällig auch noch wahr ist. Ja, so funktioniert es tatsächlich. Doch so was findet man nicht alle Tage.
»6«, sage ich ganz ruhig. »Ich habe mir die Geschichte der glorreichen Firma Coca-Cola inzwischen x-mal vorwärts und rückwärts reingezogen. Sollte jemand in meiner Anwesenheit noch mal das Wort ›Geheimformel‹ in den Mund nehmen, dann werd ich handgreiflich. Aber was Werbewirksames hab ich trotzdem nicht gefunden.«
6 sieht mich einen Augenblick schweigend an. »Ich will Sie ja nicht unter Druck setzen, Scat«, sagt sie, »doch bis morgen nachmittag um fünf müssen wir uns irgendwas einfallen lassen.«
»Wissen Sie«, sage ich etwas gereizt, »aus Ihrem Mund hab ich bisher noch nicht allzu viele Einfälle vernommen.«
»Ich will aufrichtig zu Ihnen sein, Scat«, sagt sie, was bei mir sofort sämtliche Alarmglocken schrillen läßt. »Ideen gehören nicht zu meinen Stärken. Das ist Ihr Metier. Meine Stärken liegen in den Bereichen Entwicklung, Verhandeln und Management. Und da sieht’s bei Ihnen ziemlich finster aus, sonst wären Sie jetzt drei Millionen Dollar schwer.«
Ich mache den Mund auf, doch es will einfach nichts herauskommen – geschweige denn die forsche Antwort, nach der ich suche. Wahrscheinlich eine Folge meiner armseligen Managementqualitäten.
6 sagt: »Genau deshalb hab ich Sie ja ausgesucht, Scat. Wir ergänzen uns prächtig.«
»Verstehe.« Soll ich jetzt geschmeichelt oder gekränkt sein? Ich entscheide mich für eine kleine Dosis von beidem. »Dann erwarten Sie also, daß ich mir den heißesten Werbeslogan aller Zeiten mal eben so aus den Fingern sauge?«
»Exakt«, sagt 6 und macht große Augen. Natürlich macht sie das nur, um mich einzuwickeln, wie ich inzwischen weiß, trotzdem nehme ich die Gelegenheit wahr, mich ein wenig in ihre Pupillen zu versenken.
»Und wenn Sie den Superslogan morgen bis 17 Uhr nicht haben, können Sie an der alten Kampagne weiterdoktern und sich in den nächsten Monaten mit Ideen anderer Leute rumärgern.« Ich kann ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken, schließlich ist 6 jetzt von mir abhängig.
6 sitzt eine Weile schweigend da. »Nein«, sagt sie, »das ist so nicht ganz richtig.«
6
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