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Sirup: Roman (German Edition)

Sirup: Roman (German Edition)

Titel: Sirup: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Barry
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beichtet [2]

    »Die Sache ist nämlich die: Für die Fortsetzung der alten Kapagne ist es schon zu spät.«
    Ich staune. »Zu spät?«
    »Ja.« 6 neigt ein wenig den Kopf. Ihr schwarzes Haar fällt nach vorne. »Das Konzept der Kampagne erfordert eine bestimmte graphische Gestaltung, und dafür hab ich niemanden engagiert. Deshalb ist es unmöglich, die Kampagne noch bis Sommerbeginn auf die Beine zu stellen.«
    »Verstehe.« Ich wähle meine Worte sorgfältig, damit keine Mißverständnisse aufkommen. »Soll das heißen, daß Coca-Cola keine Sommerkampagne hat, wenn ich, Scat, nicht bis morgen irgendeinen genialen Slogan aus mir rausquetsche?«
    Ich muß 6 zugute halten, daß auch sie die Situation jetzt etwas gründlicher durchdenkt. Weil es, wie gesagt, wichtig ist, daß wir uns über unsere Lage im klaren sind. Wenn Coke für den Sommer keine neue Kampagne hat, wird der Umsatz um fünfzig, vielleicht hundert Millionen Dollar sinken, die Aktienkurse werden in den Keller stürzen, der Vorstandsvorsitzende muß zurücktreten, PepsiCo wird Millionen machen, und die Fernsehanstalten überall auf der Welt verlieren einen ihrer größten Werbekunden. Ich gehe mal davon aus, daß 6 nicht unbedingt als Verursacherin einer solchen Megakatastrophe in Erinnerung bleiben möchte.
    »Ich mußte mich sehr schnell entscheiden, Scat. Entweder ich fange gleich damit an, die Kampagne zu realisieren, oder aber ich gehe das Risiko ein, eine völlig neue Kampagne hinzustellen.« Sie zuckt kaum merklich mit den Schultern. »Ich hab mich für das Risiko entschieden.«
    »6«, sage ich leise, »ich will Ihnen ja nicht die gute Laune verderben, aber wenn mir bis morgen nachmittag nichts einfällt. Was ist dann?«
    6 nimmt einen großen Schluck von ihrem 7-Up. »Dann wähle ich die Nummer des Vorstandsvorsitzenden, informiere ihn über die Situation und setze ihn von meiner Kündigung in Kenntnis. Dann bin ich meinen Job los, und kein Marketingmanager in Amerika wird mir je wieder irgendeine Aufgabe anvertrauen.«
    Sie schaut mich mit dunklen, überraschend ruhigen Augen an. Ich möchte ihr so gerne etwas Mitfühlendes, Tröstliches sagen – ja, sie tut mir plötzlich richtig leid.
    Dann sagt 6 fast zärtlich: »Und Ihnen natürlich auch nicht.«
    zugeschnappt

    Ich schlafe tief und fest und wache am Freitag morgen völlig erfrischt wieder auf.
    Diese Formel leiere ich stundenlang herunter, doch sie funktioniert nicht. Inzwischen ist es zwei Uhr morgens, und ich kann ums Verrecken nicht schlafen. Schon erstaunlich, was Todesangst manchmal bewirken kann.
    Um drei Uhr steh ich auf und mache mir einen Milchshake. Als ich an den Knöpfen herumfingere, sehe ich, daß meine Hände zittern. Ich geh mit dem Stoff zum Sofa, trinke das Glas langsam leer und versuche nicht daran zu denken, daß meine Karriere schon in vierzehn Stunden zu Ende sein könnte. Ich kapier ziemlich schnell, daß Gedanken, die man ohnehin schon im Kopf hat, kaum zu vermeiden sind, deshalb gebe ich mir – clever wie ich nun mal bin – redlich Mühe, nicht an Elefanten zu denken. Unglücklicherweise gelangt mein Gehirn dabei zu der Feststellung, daß sich der Gedanke an Elefanten am ehesten vermeiden läßt, wenn ich darüber nachsinne, daß es mit meiner Karriere schon in vierzehn Stunden ein schreckliches Ende nehmen könnte, und auch um halb vier hab ich noch immer das große Flattern.
    Am schlimmsten ist die Vorstellung, daß ich rettungslos in der Falle sitze. Und zwar in der größten Falle der Welt. Und nicht mal getarnt war sie – diese Falle. Im Gegenteil: Sie war sogar mit Neonlettern beleuchtet. 6 hat gesagt: »Scat, würden Sie mal bitte Ihren Fuß in Position bringen, damit ich Ihnen diese gigantische neonbeleuchtete Falle unterschieben kann?«, und ich hab gesagt: »Aber gerne, 6, nichts lieber als das.«
    Jedenfalls hat man mich bei Coke gesehen.
    Ich verstehe einfach nicht mehr, wie ich so blöde sein konnte.
    In den Lehrbüchern gehört ein solcher Schwachsinn nicht mehr in die Rubrik »Marketingpleiten«, sondern in die Kategorie »Marketingkatastrophen«. Ohnehin hab ich inzwischen Anspruch auf Einträge in beiden Kategorien, warum dann nicht gleich auch noch auf den Titel des größten Marketingschwachkopfs aller Zeiten? Zur Begründung könnte man vielleicht schreiben: Nachdem er sich um die Rechte an Fukk hatte bescheißen lassen, war Scat offenbar auch an dem Scheitern der großen Sommerkampagne beteiligt. Insider bei Coke behaupten…
    Aus

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