Sirup: Roman (German Edition)
Lippen zusammen und rüttle dreimal an der Tür. Ich klopfe nicht, ich rüttle – kräftig und bestimmt.
Ich mache mich schon auf ein weiteres Arschloch oder Verpiß dich gefaßt, und die lange Stille erscheint mir zugleich beruhigend und besorgniserregend. Ich verkneife mir eine Grimasse, als ich am Türknopf drehe.
Er bewegt sich. Die Tür geht auf. 6 sitzt auf dem Rand der Badewanne.
Sie sieht völlig normal aus, was mich ein wenig konsterniert. Ich hatte rote Augen, vielleicht auch eine etwas aufgelöste Kostümierung, wenigstens aber das heulende Elend erwartet. Doch sie wirkt so gefaßt und cool, als ob es den vergangenen Tag gar nicht gegeben hätte.
»Ich hol nur meinen Rasierer«, sage ich.
»Dann nimm ihn doch«, sagt 6.
»Eben das.« Ich drücke mich an ihr vorbei zum Waschbecken und schnapp mir den Rasierer, der sich in dem Dschungel von 6s und Tinas mysteriösen Sprays und Fläschchen ein wenig einsam ausnimmt.
Ein kurzes Schweigen. Plötzlich begreife ich, wie leicht es jetzt wäre, einfach rauszugehen und 6 niemals wiederzusehen. Dazu brauche ich bloß zu sagen: Also, bis dann, und sie wird wahrscheinlich gar nichts sagen, und ich verschwinde einfach. Ja, das war’s dann. Aus und vorbei.
Eigentlich ganz einfach.
Ich stehe da und halte meinen Rasierer in der Hand.
Ich sage: »Weißt du, wenn du gerade nichts zu tun hast…«
eine zärtliche liebesszene zwischen scat und 6
»…nichts zu tun?« sagt 6, und ihre Augen werden schmal. »Meinst du vielleicht – nichts zu arbeiten?«
»Oh… nein. Ich meine…« Ich seufze. »Komm, mach schon, 6. Wir haben jetzt die ganze Woche 18 Stunden am Tag gearbeitet. Wir sind beide fix und fertig. Komm… laß uns irgendwohin gehen.«
Sie hebt eine Augenbraue. Mir fällt auf, daß 6 auf die Gleichbehandlung ihrer Augenbrauen großen Wert legt – manchmal rutscht die linke nach oben, dann wieder die rechte. »Du meinst, wir sollen zusammen weggehen?«
»Ja«, sage ich. »Ich glaub, das wär gut für uns. Für uns beide.«
6 läßt schweigend lange Sekunden verstreichen – offenbar sitzt sie gerade zu Gericht. Noch kann der Urteilsspruch so oder so ausfallen. »Gut«, sagt sie dann.
mktg-fallstudie # 7: musikvermarktung
MAN REAKTIVIERE EINEN ROCKSTAR AUS DEN SECHZIGER JAHREN UND APPELLIERE AN DIE NOSTALGISCHEN GEFÜHLE DER BABYBOOMER. FUNKTIONIERT IMMER.
billy ray
Nur zwei Blocks von 6s Wohnung entfernt gibt es ein Südstaatenrestaurant namens Billy Ray. Schon von der Straße aus sehe ich, daß man dort eine gutbestückte Bar führt. Deshalb schlage ich vor, einen Blick hineinzuwerfen.
»In so was willst du reingehen?« sagt 6 und rümpft die Nase. »In ein Südstaaten lokal?«
»Richtig«, sage ich und überlege geschwind. »Aber das meinen die doch nicht ernst.«
»Glaubst du?« sagt sie mißtrauisch.
»Na klar«, sage ich. »Der Laden war sogar schon mal in Vanity Fair erwähnt.«
Als wir schließlich drin sind, wird mir schnell klar, daß das Billy Ray ein großer Fehler war. Die Sitznischen sind nach den verschiedenen Südstaaten benannt, und die Bedienung führt uns ohne Umschweife nach Georgia. Zwischen den Bildern von Martin Luther King jr. und einer Gestalt, die ich für Jimmy Carter halte, ist dort eine lustige Fahne angebracht, auf der es heißt: »Die Heimat von Coca-Cola!« Direkt neben unserem Tisch steht sogar ein riesiger Cola-Automat. »Hmm«, sage ich zu der Bedienung. »Könnten wir nicht einen anderen Staat bekommen? Vielleicht Louisiana? Von mir aus sogar Texas?«
»Tut mir leid«, sagt die Bedienung mit einem wahrhaft furchterregenden Akzent. »Wir haben nur noch Georgia frei. Texas ist immer zuerst weg – wegen der Hüte.«
»Oh, verstehe.« Ich sehe 6 an. »Okay, dann bleiben wir halt in Georgia.«
»Kann ich schon mal was zu trinken bringen?«
»Scotch und… Wasser «, sage ich, weil ich mit Coke derzeit auf Kriegsfuß stehe.
»Eine Bloody Mary«, sagt 6. »Eine große, bitte.«
»Alles klar«, sagt die Bedienung, was mir ein wenig übertrieben erscheint. Dann notiert sie sich unsere Bestellungen.
»6«, sage ich, »du solltest dich heute abend wirklich mal entspannen.« Dann fällt mir ein, daß es vielleicht gar nicht so gut ist, wenn 6 sich heute abend entspannt – weil nämlich, wenn 6 sich heute abend nicht entspannt, sie womöglich anfängt, über ihre Kindheit zu sprechen und all die beschissenen Männer, die sie gekannt hat, und schließlich kichernd in meinen Armen landet und ’ne Runde mit mir
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