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Sirup: Roman (German Edition)

Sirup: Roman (German Edition)

Titel: Sirup: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Barry
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Unternehmen der Welt die Verantwortung und verhalten sich trotzdem wie Normalsterbliche. Ich entdecke sogar eine halbgeöffnete Krawatte. Mir ist nicht ganz klar, ob ich das nun für total cool oder für einen Verstoß gegen die Etikette halten soll. Vielleicht ein bißchen von beidem, denke ich.
    Ich inspiziere den bereitstehenden Projektor und lege die noch abgedeckte Folie hinein.
    Auf diesem Bildträger ist – noch unsichtbar – meine Idee für die Sommerkampagne dokumentiert.
    6 nickt mir zu und wendet sich dann an die versammelten Manager: »Meine Herren, Sie erwarten von uns vermutlich eine verbesserte Version der Classic-Coke-Kampagne. Sie erwarten einen zähen halbstündigen Vortrag über die Reichweiten und die Resultate unserer Marketingprojekte. All die Dinge, die Sie schon x-mal gesehen und gehört haben. Richtig?«
    Die zwölf Männer müssen kluge Bürschchen sein, denn keiner von ihnen sagt ein Wort.
    »Doch das alles werde ich Ihnen heute nicht bieten. Und ich sage Ihnen auch, warum. Die meisten von Ihnen wissen ja, daß ich noch vor kurzem in der Produktentwicklung tätig war. Deshalb wissen Sie auch, weshalb ich heute nicht mehr dort bin. Aber, meine Herren, ich bin kreativ, und ich bin ehrgeizig. Deshalb empfinde ich meinen derzeitigen Aufgabenbereich als zu eng. Und ich fürchte, ich habe ein wenig meine Kompetenzen überschritten.«
    6 sieht die Männer selbstbewußt an.
    »Mr. Scat und ich haben die Sommerkampagne für Classic Coke von Grund auf umgestaltet.«
    Wieder bin ich von den Männern beeindruckt. Fast keiner von ihnen läßt sich seine Überraschung anmerken.
    Fast. Jim springt von seinem Stuhl auf und brüllt: » Was haben Sie?«
    6 schaut ihn kühl an.
    »Wissen Sie eigentlich, wieviel Arbeit in der Kampagne steckt?« fragt er. »Wieviel Geld ?«
    Jamieson unterbricht ihn. Er spricht zwar leise, doch Jims Mund klappt sofort wie auf Knopfdruck zu. »Entschuldigen Sie… Was genau dürfen wir uns unter dem Wort ›umgestaltet‹ vorstellen?«
    »Um es klar zu sagen, ich habe die alte Kampagne liquidiert«, sagt 6. »Sie ist jetzt nur noch Geschichte.«
    Jamieson braucht einen Augenblick, um diese Mitteilung zu verdauen. Schließlich sagt er: »Das ist nicht hinnehmbar.«
    »Das ist einfach empörend «, sekundiert ihm Jim. »6, wenn ich Ihnen erklären muß, welche Bedeutung diese Kampagne für den weiteren Erfolg unseres Unternehmens hat, dann sind Sie hier fehl am Platz. Diese Kampagne ist sakrosankt. Wir haben sechs Monate gebraucht, um die Sache zu entwickeln und zu testen, und das Ergebnis war absolut perfekt .«
    »Es war langweilig.« 6 spricht ganz ruhig, als ob sie lediglich eine allgemein bekannte Wahrheit konstatiert, die Jim nur noch nicht begriffen hat. »Das ganze Projekt war viel zu plump – genau wie die Kampagne letztes Jahr.«
    Mit seinem feuerroten Kopf bietet Jim nicht gerade einen attraktiven Anblick. »Die Kampagne letztes Jahr war sehr erfolgreich, falls Ihnen das entfallen sein sollte.«
    6 legt ihren Kopf nachdenklich zur Seite. »Was führt Sie zu dieser Annahme, Jim?«
    »Wir haben den Umsatz um sechs Prozent gesteigert«, sagt er wütend. Mir fällt auf, daß niemand sonst sich an der Debatte beteiligt. Alle warten, wer sich zuerst eine Blöße gibt – 6 oder Jim.
    »Wissen Sie, Jim, ich finde nicht, daß das besonders viel ist«, sagt 6. Sie gibt Jim genügend Zeit, sich eine Entgegnung auszudenken, läßt ihn dann aber nicht zu Wort kommen. »Sechs Prozent gibt mir auch die Bank. Ich denke, wir sollten den Umsatz, sagen wir, um fünfzehn Prozent steigern. Was sagen Sie dazu, Jim?«
    Jim öffnet den Mund, macht ihn aber klugerweise gleich wieder zu. Offenbar fällt ihm keine passende Antwort ein.
    »Und mit einer Kampagne wie letztes Jahr schaffen Sie das nie. Strände und Bikinis sind doch inzwischen völlig ausgelutscht. Wir brauchen etwas anderes, und zwar etwas radikal anderes.« Sie läßt ihren Blick durch den Raum schweifen, und tatsächlich sinkt Jim jetzt ziemlich kläglich in seinem Stuhl zusammen. »Etwas, das die Leute so schnell nicht vergessen, etwas, worüber sie mit ihren Freunden sprechen. Etwas, das sich einprägt. Ja, etwas Einmaliges, das zur Identifizierung einlädt.«
    Tatsächlich steht jeder Werbetexter vor diesem Dilemma: Seine Botschaft muß einprägsam sein, damit der Konsument das Produkt blind erkennt, sie sollte die Leute aber auch zur Identifizierung einladen. Dabei ist es relativ einfach, jedes dieser beiden Ziele für

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