SISSI - Die Vampirjägerin
sich um einen wilden Vampir zu kümmern, der anscheinend in den Wäldern rund um die Residenz aufgetaucht war, hatte ihm schließlich die Flucht ermöglicht. Dass Pierre und Edgar sich ihm aufgedrängt hatten, war zwar wie ein Tropfen Galle in süßem Blut, aber immer noch besser als Sophies Belehrungen und Intrigen. Sie bestimmte die Politik des Landes und diktierte Franz-Josef jede Entscheidung. Manchmal fragte er sich, warum er sich die Mühe gemacht hatte, um sein erstes Amt zu kämpfen, denn herrschen durfte er nicht.
Aber in die Öffentlichkeit darf ich mich begeben, um Zielscheibe für Attentäter zu werden, dachte er. Zu mehr tauge ich wohl nicht.
Franz-Josef lehnte seine Armbrust an einen Baumstamm und gähnte. Die Nacht war fast vorbei, aber sie hatten noch immer keine Spur des wilden Vampirs gefunden.
»Glaubt ihr, es gibt ihn wirklich?«
»Den wilden Vampir?« Edgar hob die Schultern und griff in seine Jackentasche. Franz-Josef lehnte ab, als er ihm eine Zigarre anbieten wollte. »Wahrscheinlich nicht. Sie sind selten geworden. Wir haben sie fast ausgerottet.« Es klang bedauernd.
Pierre nahm eine Zigarre und roch daran. »Zum Glück«, sagte er, als er sie mit angewidertem Blick zurückgab. »Diese primitiven Barbaren sind eine Gefahr für uns alle.«
»Es sind Puristen.« Edgar biss ein Ende seiner Zigarre ab und begann, sie zwischen den Fingern zu drehen. »Sie tun das, wozu sie erschaffen wurden, jagen und töten. Wir sollten ihnen nacheifern, anstatt sie auszurotten.«
Franz-Josef betrachtete den Wald, der sich vor ihnen erstreckte. Sie standen an einem Hang hoch über Bad Ischl. Das Licht des Vollmonds war so hell, dass er jeden Schatten, jede Nuance in der Färbung des Waldes erkennen konnte, fast so, als blicke er in seine Seele.
»Wir töten sie, damit wir unentdeckt bleiben«, sagte er nach einem Moment, »nicht weil es uns gefällt.«
»Also töten wir aus Feigheit.« Edgar zündete die Zigarre mit einem Streichholz an.
Franz-Josef trat einen Schritt zur Seite, doch der graue, beißende Qualm hüllte ihn trotzdem ein.
»Das ist schlimmer, als wenn wir Gefallen daran fänden«, fuhr Edgar fort.
Pierre verdrehte die Augen, schwieg jedoch. Franz-Josef hatte den Eindruck, dass sie diese Unterhaltung schon oft geführt hatten.
»Wir verstecken uns vor den Menschen, obwohl wir über sie herrschen.«
»Nicht in Frankreich«, warf Pierre ein.
Edgar beachtete ihn nicht. »Wir …«
»Und auch nicht in Amerika.«
Edgar machte ein Gesicht, als wolle er Pierre am liebsten pfählen. »Wir beherrschen die Menschen, abgesehen von Franzosen und Amerikanern …«, er warf seinem Begleiter einen kurzen Blick zu, doch der unterbrach ihn nicht noch einmal, »… aber anstatt unsere Macht zu feiern, verbergen wir uns hinter Masken. Wir tragen ihre Kleidung, lauschen ihrer Musik, lesen ihre Bücher. Wir versuchen, sie nachzuahmen.« Er schüttelte den Kopf. »Der Wolf ahmt das Schaf nach. Habt ihr je etwas Lächerlicheres gehört?«
Franz-Josef hob die Schultern. »Wölfe sind Schafen auch nicht mit einer Million zu eins unterlegen.«
»Und die wenigsten Schafe wissen, wie man eine Guillotine bedient«, sagte Pierre.
Wütend trat Edgar die Zigarre aus. »Ich kenne all die Argumente. Ich habe lange genug selbst daran geglaubt. Aber seht doch, was dieses Versteckspiel aus uns macht! Wir sind faul geworden und dekadent. Wann habt ihr das letzte Mal einen Menschen gejagt, richtig gejagt, anstatt ihn zu betören und sein Blut zu trinken, ohne dass er weiß, wie ihm geschieht? Wann habt ihr das letzte Mal getötet, ohne dass man es euch erlaubt hatte?«
Franz-Josef schwieg. Er musste darüber nicht nachdenken, er kannte die Antwort auch so: kein einziges Mal.
Pierre hingegen begann lautlos, etwas an seinen Fingern abzuzählen.
»Und?«, fragte Edgar, als seine Antwort ausblieb.
Pierre sah ihn an. »Zählen Tiere?«
»Nein.«
»Auch nicht, wenn sie Menschen gehört haben?«
»Nein!« Edgar schrie beinah.
Franz-Josef wurde langsam klar, wie ernst er es meinte. »Und wann hast du das letzte Mal ohne Erlaubnis getötet?«, fragte er. Der große Vampir zögerte, nicht aus Scham, das sah Franz-Josef ihm an, sondern aus einem anderen, weniger klar erkennbaren Grund.
»Vorgestern«, sagte Edgar nach einem Moment.
Franz-Josef blickte ihn ungläubig an. »Was? Du lügst. Das …«
»Psst.« Pierre stieß ihn an und legte einen Finger auf die Lippen. »Riecht ihr das?«
»Unterbrich mich nicht. Das
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