SISSI - Die Vampirjägerin
sie sagte. Bevor sie geendet hatte, kehrte der Mann zurück. In einer Hand hielt er einen Eimer mit Wasser, in der anderen eine große verkorkte Milchflasche.
»Is des ihna Pferd?«, fragte er, als die Frau kurz schwieg.
»Ja.«
Wieder sahen sich die beiden an. Sie fragten sich sicherlich, warum ein Mann, der sich ein so edles Pferd leisten konnte, kein Geld für einen Arzt hatte, aber sie fragten ihn nicht danach. Stattdessen schnürten sie ihm aus den Decken ein Bündel zusammen und reichten ihm den Wassereimer.
Kein Wunder, dass sie arm sind, wenn sie mit einem Wildfremden ihr Hab und Gut teilen, dachte Franz-Josef. Schon im nächsten Moment bereute er den Gedanken. Sie halfen ihm freiwillig, ohne betört worden zu sein. Das war mehr, als er erhofft hatte.
»Bringen’s olles zruck, wans ihna besser geht«, sagte die Frau. »I winsch ihna ollas Guate. Der Herrgott mecht ihna bewohrn.«
»Danke.«
Der Mann brachte ihn zu seinem Pferd und half ihm, die Sachen zu verstauen. Den Wassereimer nahm Franz-Josef in die Hand. Das graue Dämmerlicht stach in seinen Augen.
»Vielen Dank noch mal«, sagte er, als er sein Pferd wendete. »Ich weiß das zu schätzen.«
Der Mann griff ihm in die Zügel, sah sich um, als wolle er sich vergewissern, dass niemand zusah, dann flüsterte er: »Und mir wiss’n zum schätz’n, wos se fia uns tuan. Vive la revolution.«
Er sprach es so falsch aus, dass Franz-Josef die Bedeutung erst begriff, als er auf den Weg zum alten Kloster einbog.
Jesus, dachte er. Sie glauben, ich bin ein Anarchist.
Die Erkenntnis schockierte ihn, aber er brachte nicht mehr die Konzentration auf, darüber nachzudenken. Die Helligkeit stach wie Nadeln in seine Haut, seine Augen drohten auszutrocknen. Vampire konnten nicht weinen, die einzige Flüssigkeit in ihrem Körper war das Blut, das sie zu sich nahmen.
Ich habe zu wenig getrunken, dachte Franz-Josef. Sonst würde mir die Helligkeit nicht so zusetzen.
Er spürte die Hitze der noch unsichtbaren Sonne unter dem Stoff seines Hemds und auf der Kopfhaut.
Hätte ich doch nur die beiden Menschen in ihrer Hütte angezapft. Doch er hatte einfach nicht daran gedacht, versuchte er sich einzureden, obwohl eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf fragte, ob er es in Wahrheit nur nicht übers Herz gebracht hatte.
Mit geschlossenen Augen ritt er dem Gebäude entgegen. Es gab nur den einen Weg, sein Pferd würde sich nicht verlaufen. Erst begannen seine Hände zu schmerzen, dann sein Rücken. Er wusste, dass seine Kleidung dampfte. Sein Körper verlor die Feuchtigkeit, die das Blut des Vorabends ihm geschenkt hatte.
Franz-Josef zwinkerte kurz und bemerkte erleichtert, dass sich das alte Kloster keinen Steinwurf mehr von ihm entfernt befand. Er trieb sein Pferd an und versuchte dabei, den Wassereimer gerade zu halten, damit er nichts verschüttete. Was er bei sich hatte, musste bis zur Nacht reichen.
Er bog in den schmalen Pfad ein, den Gestrüpp und Unterholz ihm gelassen hatten – und hielt erschrocken an.
Die Eingangstür stand offen, die Kette lag im Gras.
Verdammt!
Am liebsten wäre Franz-Josef vom Pferd gesprungen, aber er zwang sich, langsam abzusteigen und den Eimer auf den Boden zu stellen, bevor er ins Haus stürmte.
»Sissi?«
Ihr Bett war leer.
Er drehte sich um, suchte zuerst im Erdgeschoss nach ihr, dann im Keller. Zuletzt lief er, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum ersten Stock hinauf.
»Sissi?«
Er hörte nichts außer dem Knarren der Dielen unter seinen Sohlen.
Sie musste nach draußen gelaufen sein, aus welchem Grund, konnte er nicht sagen. Vielleicht war sie aufgewacht und hatte Angst bekommen, weil sie nicht wusste, wie sie an diesen Ort gelangt war.
Franz-Josef eilte nach unten, nahm Sissis Umhang vom Bett und legte ihn sich über Kopf und Schultern. Der Stoff roch nach schlechtem Blut.
Hitze und Helligkeit zwangen Franz-Josef beinah in die Knie, als er das Haus verließ. Für ihn fühlte es sich an, als liefe er über die Oberfläche der Sonne. Die Luft war heißer als alles, was er je zuvor gespürt hatte, die Welt schien im wabernden, schmutzig orangefarbenen Licht des Sonnenaufgangs zu zerfließen.
Wie halten die Menschen diese Hässlichkeit nur aus?, fragte er sich. Das ist doch entsetzlich.
»Sissi?«, schrie er. Seine Stimme klang heiser. Er schmeckte Staub auf der Zunge. »Sissi!«
Er stolperte am Haus vorbei, riss sich Stoff und Haut am Gestrüpp auf und fiel über längst niedergetretene Zäune. Das
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