SISSI - Die Vampirjägerin
hölzernen Pritsche und fluchte. Er rollte sich darunter hervor und stand auf, geduckt und bereit zum Kampf. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Sissi schlief, aber er war sich sicher, dass es ihre Stimme gewesen war, die den Schrei ausgestoßen hatte.
Vielleicht hat sie ja wirklich von mir geträumt, dachte er, aber der unausgesprochene Scherz hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Ihm fiel ein, was sie gesagt hatte, als sie sich draußen so heftig gegen ihn wehrte.
Pfählen.
»Das kann nicht sein«, sagte er leise, nur um nicht allein mit der Stille des Hauses zu sein. »Sie kann doch nicht …«
Sein Blick fiel auf den länglichen Gegenstand. Sah er nicht aus wie …?
Seine Finger zitterten, als er danach griff und die Stricke um den Stoff löste.
Nein , dachte er, bitte nicht.
Er rollte den Stoff auseinander, dann lehnte er sich an den Bettpfosten und starrte regungslos auf das Schwert, das nun vor ihm lag. Es war ein Katana, eine japanische Waffe, wundervoll verziert und absolut tödlich.
Nach einer Weile beugte sich Franz-Josef vor und zog es aus seiner Scheide. Schmutz haftete an einer ansonsten makellosen Klinge. Er strich mit den Fingerspitzen über die stumpfe Seite, spürte getrockneten Schleim und Asche. Seine Gedanken erstarrten.
Sie ist eine von ihnen. Herrgott, Sissi ist ein Kind Echnatons.
KAPITEL EINUNDZWANZIG
Aufgrund ihres Aussehens unterstellt man Vampiren leicht menschliche Eigenschaften und Gefühle, was zwar naheliegend, aber – und das kann nicht mit genügend Nachdruck gesagt werden – absolut und vollkommen falsch ist. Vampire sind Raubtiere. Sie werden von einem blinden Überlebenswillen getrieben, dem sie alles unterordnen. Man wird nie einen ehrenvollen Vampir treffen und nie eine selbstlose Tat von ihm erleben. Selbst untereinander zerfleischen sie sich und streiten um den letzten Tropfen Blut wie Wölfe um einen Kadaver. Niemals darf man die Tücke eines Vampirs unterschätzen, niemals von den eigenen Werten ausgehen. Stets muss man daran denken, dass wir in seinen Augen Beute sind und er unsere Unterlegenheit, körperlich wie geistig, als gegeben voraussetzt.
– Die geheime Geschichte der Welt von MJB
Professor Friedrich von Rabenholde fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Das Mikroskop, das er sich aus London hatte schicken lassen, war das beste, mit dem er je gearbeitet hatte, und sicherlich auch das teuerste. Er sah Dinge damit, die er zuvor nicht mal hätte erahnen können, und zu seiner großen Zufriedenheit bestätigten seine Beobachtungen die Theorien, die Gunther, er und Roderick Wimmersham-Shelkes, sein zweiter Assistent, in den letzten Wochen ausgearbeitet hatten.
»Wir lagen richtig, Gunther«, sagte Friedrich. »Ich kann es kaum glauben, aber die Praxis belegt die Theorie.«
Gunther erhob sich von seinem Platz neben einem Gewirr aus mit Röhren verbundenen Glaskugeln, in denen Plasma brodelte, und reichte ihm die Hand. Seine linke Augenhöhle war leer.
»Herzlichen Glückwunsch, Professor. Das ist allein Ihr Verdienst.«
»Nein.« Friedrich hielt seine Hand fest. »Ohne Sie und Roderick wäre ich nie über das Anfangsstadium hinweggekommen. Sie dürfen Ihren Anteil an unserer Entdeckung nicht schmälern.«
Gunther neigte den Kopf. »Das ist sehr großzügig von Ihnen, Professor, aber wir waren nur Werkzeug in Ihren Händen, so wie das Mikroskop. Sie haben uns richtig eingesetzt, dafür sind Roderick und ich Ihnen dankbar.«
Friedrich wusste, dass sich dieses Spiel nun einige Zeit hinziehen würde, wenn er es nicht abbrach. »Danken Sie Roderick einfach von mir«, sagte er und stand ebenfalls auf. Seine Knochen knackten, sein Rücken schmerzte. Das Alter holte Friedrich trotz regelmäßiger Leibesertüchtigungen und einer gesunden, alkoholfreien Ernährung doch langsam ein.
Aber das wird bald vorbei sein, dachte er.
Die Tür am Ende der Treppe wurde geöffnet. Zwei Diener, die ein Tablett zwischen sich trugen, traten ein. Die Treppe war so breit, dass sie nebeneinander gehen konnten. Wie immer musterte Friedrich sie, suchte nach Eigenheiten, die er geografisch zuordnen konnte. Wie immer fand er nichts. Die beiden Männer sprachen nur das Nötigste mit ihm, ihre Schuhe waren stets sauber, ihr Aussehen konnte er nur als unauffällig europäisch beschreiben. Friedrich nahm an, dass es sich um Vampire handelte, aber sicher war er sich nicht.
»Seine Eminenz ist gleich bereit«, sagte einer von ihnen,
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