SISSI - Die Vampirjägerin
klar, was sie mit ihm machen würde, wenn sie herausbekäme, dass er weiß, was du bist?«
Er musste nicht erklären, wer mit sie gemeint war. Sissi wusste es auch so. Abwartend und stumm blieb sie stehen, während ihre Gedanken von einer schrecklichen Vorstellung zur nächsten rasten. Noch keine Stunde war sie in der Hofburg und schon hatte man sie enttarnt. Ein solches Fiasko hatte wohl selbst ihre pessimimistische Mutter nicht erwartet.
Edgar zündete noch einige Kerzen an, dann legte er die Streichhölzer beiseite. Er ließ ihr Zeit, um über alles nachzudenken.
»Ich mag Franz-Josef nicht«, sagte er nach einem Moment. »Er ist ein schwacher Kaiser und ein lausiger Vampir. Aber er hat mich nicht getötet, als er die Gelegenheit dazu hatte, obwohl er wissen musste, dass ich ihm Probleme bereiten würde.«
Er setzte sich in einen der Sessel und sank so tief darin ein, dass seine Knie über seinen Kopf ragten. Sissi hätte beinah gelacht, als sie die Überraschung in seinem Gesicht bemerkte. Sie beherrschte sich mühsam.
Edgar kämpfte sich aus dem Sessel hoch und begann, auf und ab zu gehen.
»Das zeugt von Ehre«, fuhr er fort, »unerwartete, aber dennoch vorhandene Ehre. Ich erwarte nicht, dass du die Bedeutung des Wortes verstehst. Ihr Menschen konntet noch nie sehr viel damit anfangen.«
»Ich weiß sehr wohl, was Ehre ist«, erklärte Sissi.
Edgar ging nicht darauf ein. »Daher werde auch ich mich ehrenhaft zeigen. Niemand soll erfahren, was ich weiß, solange du keine Schritte unternimmst, die diesen Hofstaat gefährden könnten. Ein falsches Wort, eine falsche Tat und Franz-Josefs Existenz wird in einer Hölle aus Qual und Leid enden. Und deine selbstverständlich auch, aber ich nehme an, das ist dir bewusst.«
»Und wenn ich nichts tue, was dann?«
Edgar blieb stehen und sah sie an. Er hatte kalte, hässliche Augen. »Aber du sollst ja etwas tun. Du sollst Franz-Josef nach bestem Wissen und Gewissen beraten, ihn Sophies Einfluss entziehen und ihn zu dem Kaiser machen, der er sein sollte, wenn er nicht so eine Memme wäre.« Sie wollte widersprechen, aber er hob die Hand. »Und als Allererstes, gleich morgen, wenn du die Akten für ihn sortierst und sie in einen wichtigen und einen unwichtigen Stapel einteilst, wirst du diese …«, er öffnete seine Jacke und zog einige mit einem breiten Stoffband umwickelte Papiere hervor, »… auf dem wichtigen Stapel ganz nach oben legen. Sorge dafür, dass er sie unterschreibt.«
»Was steht da drin?« Sissi rechnete nicht damit, dass er es ihr sagen würde, aber er tat es doch.
»Das Papier enthält die Bitte an den Kaiser, ein Heißluftballonrennen zu genehmigen. Wenn er das tut, werde ich dich nie wieder um einen Gefallen bitten.«
Sissi nickte und versuchte, ihre Erleichterung nicht zu zeigen. Ein Heißluftballonrennen klang harmlos. Er hätte sie mit weit Schlimmerem erpressen können.
»Wieso ist Ihnen das Rennen so wichtig?«, fragte sie trotzdem.
»Heißluftballons sind mein Hobby.« Es war gelogen, das hörte sie. »Hast du verstanden, was du zu tun hast?«
»Alles verstanden und geistig notiert«, sagte sie.
Sein Blick wurde noch kälter. »Verkauf mich nicht für dumm.«
»Nein.« Sie schüttelte rasch den Kopf. »Das tue ich nicht.«
»Gut.«
Einen Lidschlag später war er verschwunden. Leise fiel die Tür des Salons hinter ihm ins Schloss.
Sissi atmete tief durch und lehnte sich an die Wand. Ihr Rücken begann zu schmerzen, aber sie brauchte die Kühle der Mauer unter den Tapeten, um wieder klar denken zu können.
Wenigstens kann mich heute nichts mehr überraschen, dachte sie, als sich ihr Herz wieder beruhigt hatte.
Sie nahm den Leuchter mit den Kerzen, die Edgar angezündet hatte, und ging auf wackligen Knien zur nächsten Tür. Sie musste schlafen und sich ihren Gedanken am Morgen mit neuer Kraft stellen. Sie öffnete die Tür und sah das Bett, die Tapeten, Teppiche und Möbelstücke, die das Kerzenlicht aus dem Verborgenen riss.
»Ach du sch…«
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
Ich habe anfangs geschrieben, dass der erste den Kindern Echnatons bekannte Vampir Ramses II. von Ägypten war. Doch wie weit die Geschichte dieser Spezies tatsächlich zurückgeht, kann bis heute niemand genau sagen. Würde man mir diese Frage in einer geselligen Runde stellen, so würde ich darauf antworten, dass ich an eine parallele Entwicklung zur Menschheit glaube und deshalb das Alter der Vampire weder höher noch niedriger einschätze als das
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