SISSI - Die Vampirjägerin
niemand.
Ich will doch nur frühstücken, dachte Sissi.
Dass sie die Türklinke in einer der tapezierten Wände entdeckte, überraschte sie selbst. Fast unsichtbar ragte sie zwischen goldbraunen Mustern hervor. Sissi drückte sie und zog die Tür auf. Dahinter lag ein schmales, hölzernes Treppenhaus, von dem Gänge über und unter ihr in die einzelnen Stockwerke abzweigten.
Deshalb sehe ich keine Dienstboten, dachte Sissi. Sie haben ihren eigenen Palast neben dem unseren.
Es kam ihr vor, als hätte sie eine eigene, verborgene Welt entdeckt. Der Geruch von frischem Brot zog durch das Treppenhaus, irgendwo unter ihr schepperte Geschirr. Stimmen unterhielten sich laut. Jemand lachte.
Sissi lief die Stufen hinunter. Als Kind hatte sie in Possenhofen oft den Köchen bei der Arbeit zugesehen, wenn das Wetter zu schlecht zum Spielen war. Man hatte sie Kartoffeln schälen lassen, als ihre Mutter ihr noch verbot, ein Messer zu benutzen, und ihr auch vom frischen Kuchenteig gegeben. An keinem anderen Ort hatte sie sich lieber aufgehalten. Vielleicht würde die Küche auch in der Hofburg zu ihrer Zuflucht werden, wenn die Anforderungen ihrer Position zu viel für sie wurden.
Sissi drängte sich an einigen Dienern vorbei, die ihr mit Tabletts in den Händen entgegenkamen. Einige blieben stehen und drehten sich nach ihr um.
Sie bog in einen Gang ein und hielt an der Tür zur Küche inne. »Grüß Gott«, sagte sie. »Kann ich bitte etwas Brot und Konfitüre haben und vielleicht eine Tasse Tee, wenn es keine Mühe macht?« Die letzten Worte sprach sie in die einsetzende Stille hinein. Wie erstarrt standen Köche, Diener und Küchenhilfen vor ihr, manche wurden ganz grau im Gesicht. Eine alte Köchin schlug sich eine mehlbedeckte Hand vor den Mund.
Die Küche war groß. Backöfen und Herde standen in langen Reihen an den Wänden, auf den Tischen in der Mitte wurde das Frühstück für die menschlichen Bewohner der Hofburg zubereitet. Sissi sah Tabletts mit Teekannen, Gebäck, frischem Brot und kleinen Tellern voll Konfitüre. Wasser dampfte in Töpfen, in denen niemand mehr rührte. Die Blicke aller waren auf Sissi gerichtet.
Sie schluckte und lächelte unsicher. »Vielleicht einen Zwieback stattdessen und etwas Milch?«
Niemand sagte etwas.
»Einen Apfel?«
Im Hintergrund, dort, wo die Mahlzeiten auf langen Arbeitsplatten vorbereitet wurden, seufzte eine junge Küchenhilfe und fiel in Ohnmacht. Eine andere fing sie auf.
Sissi wurde klar, dass sie es nur noch schlimmer machte, je länger sie blieb, was auch immer es war. Sie lächelte noch einmal und zog eines der Tabletts vom Tisch. »Ich nehme das dann mal, wenn’s recht ist«, sagte sie, ohne eine Antwort zu erwarten und ohne eine zu bekommen. Dann verließ sie die Küche und machte sich auf den langen Weg zurück zu ihren Gemächern.
Franz-Josef würde erst am Abend erwachen. Bis dahin würde sie entscheiden, ob sie ihm von Edgars Besuch erzählte. Ihr wurde klar, dass es ihr bereits leichter fiel, an Franz-Josef als Vampir zu denken. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie es schon bald als normal betrachten, dass er die Tage verschlief und in den Nächten Blut trank.
So weit darf es nicht kommen, dachte sie. Bei aller … Sie zögerte, bevor sie das Wort verwendete … Liebe werde ich nie vergessen, weshalb ich hier bin.
Der Gedanke drohte ihre Stimmung zu ruinieren, also verdrängte sie ihn, dachte stattdessen an all das, was sie an ihrem ersten Tag in der Hofburg unternehmen würde.
Die Papiere, die Edgar ihr gegeben hatte, fielen ihr erst ein, als sie sie auf dem Tisch liegen sah. Sie sprang auf und lief damit zur Tür. Dreimal musste sie auf dem Weg eine Zofe fragen, bevor sie Franz-Josefs Arbeitszimmer fand. Die Mädchen waren so eingeschüchtert, dass sie selbst kaum mehr den Weg kannten. Sissi wusste nicht, weshalb.
Das Arbeitszimmer war ein gewaltiger, unpersönlicher Raum, dem man ansah, dass niemand dort viel Zeit verbrachte.
Das ist sein Langweilzimmer, dachte Sissi, als sie die Papiere auf den Stapel legte, vor dem ein Zettel mit dem Wort »Wichtig!« lag. Sie war sicher, dass Franz-Josef sie unterschreiben würde. Das ungute Gefühl, das sie dabei hatte, ignorierte sie.
Zuerst Frühstück, dann Giraffen.
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
Das nun folgende Kapitel wird vielen anstößig erscheinen, aber im Interesse der Vollständigkeit ist es unerlässlich, auch über vampirische Fortpflanzung zu sprechen. Dass sie existiert, ist bekannt, dass sie
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