SISSI - Die Vampirjägerin
musterten.
»Es gehört sich nicht, die zukünftige Kaiserin auf dem Gang anzusprechen«, erklärte Franz-Josef, als sie ihn danach fragte. »Die Vorstellung muss bei einem offiziellen Anlass erfolgen.«
»Es ist höflicher, so zu tun, als sei ich nicht da?«
»So ist es.«
Sie hatten in Wien noch in einem Gasthaus angehalten, damit Sissi etwas essen konnte, aber sie war schon wieder hungrig, als sie nach dem kilometerlangen Marsch durch die Hofburg endlich vor dem Trakt stehen blieben, den Franz-Josef als ihre Privatgemächer bezeichnete.
Sissi sah sich um. Die Heerscharen der Diener, denen sie immer wieder begegnet waren, schienen noch nicht bis zu diesem Gang vorgedrungen zu sein.
»Gibt es hier Wölfe?«, fragte sie.
Franz-Josef schüttelte den Kopf. »Nein, aber wir haben einen Tierpark hinter dem Palast, da gibt es Giraffen, Lamas …«
Sie unterbrach ihn. »Das meine ich nicht.«
»Wieso fragst du … oh, die Wölfe.« Er runzelte die Stirn.
Ihr gefielen die kleinen Falten, die sich dabei über seiner Nasenwurzel bildeten. Sie ließen ihn älter wirken, als er war. Du wei ß t nicht, wie alt er ist, meldete sich eine Stimme in ihrem Hinterkopf.
Nun sah auch Franz-Josef sich um. »Wer hat dir von den Wölfen erzählt?«, fragte er leise.
»Bei uns weiß jeder davon.«
Das schien ihm nicht zu gefallen, aber er hakte auch nicht nach. »Es gibt sie weder in deinem noch in meinem Trakt.« Er zeigte den Gang hinunter auf eine Tür, die so hoch und breit war, dass man ein Haus darunter hätte bauen können. »In diesem ganzen Bereich bist du sicher. Halte dich nur von allen anderen nicht öffentlichen Gemächern fern.«
»Auch von Sophies?«, fragte Sissi, obwohl sie die Antwort kannte. Sie wollte herausfinden, wie ehrlich er zu ihr war.
»Vor allem von Sophies.« Er nahm ihre Hand in seine.
Seine Haut war kühl und trocken, viel angenehmer, als sie es sich vor der gemeinsamen Nacht vorgestellt hatte. Sie genoss seine Berührung.
»Wir haben beide viel erlebt«, sagte er so leise wie zuvor. »Wir müssen über einiges nachdenken, aber ich bin sicher, dass wir alles bewältigen können, wenn wir einander nur vertrauen. Niemand soll sich zwischen uns stellen – von keiner Seite.« Er reichte ihr das Katana, das er in eine Satteldecke eingeschlagen hatte. »Hier. Versteck es gut.«
Franz-Josef wollte sich abwenden, aber Sissi ließ seine Hand nicht los. »Möchtest du nicht reinkommen?«
Er lachte. »Natürlich möchte ich das, aber hier am Hof läuft nun mal nicht alles so, wie ich es möchte.«
Du bist doch der Kaiser, dachte Sissi. Kannst du nicht tun, was du willst?
Sie fürchtete, dass die Frage zu naiv klingen würde, also sprach sie sie nicht aus. Stattdessen stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte Franz-Josef einen Kuss auf die Wange. »Gute Nacht.«
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern betrat ihre Gemächer und schloss die Tür hinter sich. So machten das die Konturbinen in den Romanen, von denen ihre Mutter nichts wissen durfte, auch immer. Sie dankte den Göttern, dass sie die Geschichten trotz des Verbots gelesen hatte. In der Scheune war sie dadurch vor mancher Peinlichkeit bewahrt worden.
Es war dunkel in ihren Gemächern. Alles roch neu, nach Farbe und frischem Holz. Sissi tastete nach einer Kerze. Ihre Hand glitt über eine Wand und einen kleinen Tisch, aber sie spürte nur glatte Flächen unter ihren Fingern.
»Wenn Sie erlauben«, sagte eine unbekannte dunkle Stimme.
Sissi zuckte zusammen. »Wer ist da?«
Ein Streichholz wurde angerissen, dann sah sie eine kleine Flamme, die an einen Kerzendocht gehalten wurde. Es knisterte und im nächsten Moment sprang die Flamme über. Schlagartig wurde es heller. Ein Gesicht, das sie kannte, schälte sich aus der Dunkelheit.
Edgar.
Sie fuhr herum, wollte die Tür aufreißen, aber er war bereits bei ihr, bevor ihre Hand die Klinke berührte, und schob sie weiter in den Raum. Aus den Augenwinkeln sah Sissi tiefe Polstersessel, Sofas und künstliche Blumengestecke. Sie war in einem Salon.
»Ich werde schreien«, stieß sie hervor, während sie hektisch versuchte, das Katana auszuwickeln.
»Ich werde dich betören, wenn du das versuchst«, sagte Edgar. »Oder wenn du das Schwert ziehst.«
Sie ließ es sinken und schloss den Mund. »Was wollen Sie von mir?«
»Ich wollte die Wahrheit, aber nach dem, was ich da draußen gehört habe, erübrigen sich weitere Fragen.« Er trat einen Schritt zurück. »Ist dir eigentlich
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