SISSI - Die Vampirjägerin
Sieh dir den Mann an, Franz. Bist du ein solches Ungeheuer, dass du ihm nicht geholfen hättest, wenn er vor deiner Tür aufgetaucht wäre?«
Ihm ist nicht mehr zu helfen, dachte Franz-Josef, ohne es auszusprechen. Er hatte es im Blick des Mannes gesehen, als er die Schranktür geöffnet hatte, spürte es durch sein Zittern und nahm es durch Lavendelschwaden an seinem dumpfen, tumben Geruch wahr.
Ferdinand hatte den Chinesen so oft betört, dass es sein Gehirn zerstört hatte. Er war ein Blutsack, wie die Vampire sagten, ein lebender Toter ohne eigenen Willen, ohne Persönlichkeit, ohne Hoffnung.
»Ich werde ihm helfen«, sagte Franz-Josef.
»Du wirst ihn aus dem Palast bringen?«
»Ja.«
»Dann komme ich mit.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Wenn ich einen Menschen nachts durch den Palast schleppe, ist das normal, wenn du dabei bist, nicht.«
Sie biss sich auf die Lippen. »Dann musst du mir eines versprechen«, sagte sie. »Niemand wird je wieder von ihm trinken.«
»Ich verspreche es.«
Ihr Blick hielt den seinen fest. Sie wirkte so ernst, so überzeugt, dass es ihm fast das Herz brach.
Nach einer Weile ging sie zur Tür und zog sie auf. »Also gut. Dann hilf ihm.«
Franz-Josef führte den Chinesen auf den Gang hinaus. Sein Zittern wurde stärker. Es war keine Angst, die ihn so reagieren ließ, sein Körper hatte nur keine Kontrolle mehr über seine Gliedmaßen. Angst spürte er schon lange nicht mehr.
Wir hätten ihn Ferdinand längst abnehmen sollen, dachte Franz-Josef, als er Sissis Plan in die Tat umsetzte und den Chinesen durch das Dienstbotentreppenhaus nach draußen brachte. Wir jagen und töten, wir quälen nicht.
Jene Nacht, in der Seine Eminenz zu ihnen gesprochen hatte und Sophie in ihren Blutwahn verfallen war, tauchte in seiner Erinnerung auf. Meistens, fügte er hinzu.
In den Gärten hielten sich um diese Zeit zu viele Vampire auf, also führte Franz-Josef den Chinesen hinter die Stallungen, dort hin, wo Stroh und Hafer gelagert wurden. Die Nacht war regnerisch und kühl, der Boden schlammig.
Franz-Josef sah sich um. Es war niemand zu sehen. Nur die Pferde schnaubten in ihren Boxen.
Er legte dem Chinesen die Hand in den Nacken. »Es tut mir leid«, sagte er und brach ihm mit einem Griff das Genick.
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
Die Kinder Echnatons glauben, dass es sich bei jedem Papst seit dem frühen Mittelalter um einen Vampir handelte, manche lassen diese Einschränkung sogar weg und sprechen von einer vampirisch geführten Urkirche, die bis in die Neuzeit überdauert hat. Ich persönlich muss beiden Auffassungen widersprechen, da es keine Beweise dafür gibt und man von bekannten Vampirpäpsten wie Innosenz II nicht auf eine fast zweitausendjährige Geschichte schließen kann. Als Warnung sei dem Leser mit auf den Weg gegeben, dass der, der Vampire überschätzt, ein ebenso großer Narr ist wie der, der sie verharmlost.
– Die geheime Geschichte der Welt von MJB
Nach dieser Nacht begann Sissi, Franz-Josef zu vertrauen. Er hatte sie nicht belogen, das spürte sie. Was immer er getan hatte, um dem Chinesen zu helfen, sein Versprechen hatte er erfüllt.
Franz-Josef liebte sie, auch das spürte sie – und erlebte es in den wenigen Nächten, in denen sie sich sicher genug fühlten –, aber sie glaubte nicht, dass er ihr wirklich vertraute.
Es waren Kleinigkeiten, die ihr das zeigten. Sein Zögern, wenn sie Fragen zu seinem Volk stellte, sein Misstrauen, wenn sie ihm nicht gleich nach dem Aufstehen genau auflistete, was sie am Tag getan hatte, und seine Bitte an sie, die Hofburg niemals ohne Begleitung zu verlassen. Er behauptete, es diene ihrer Sicherheit, und sie glaubte es ihm sogar. Doch in Wirklichkeit, da war sie sicher, befürchtete er, dass sie sich mit den Kindern Echnatons treffen würde. Nicht zu Unrecht, denn seit ihrer Ankunft im Palast brannte Sissi darauf, mit dem Cousin zu sprechen.
Er hat recht, mir zu misstrauen, dachte sie. Ich hintergehe ihn.
Sissi lehnte sich in Franz-Josefs Schreibtischstuhl zurück. Während Sophies Abwesenheit hatte sie begonnen, seine Akten vorzusortieren und die wichtigen nach oben zu legen. Franz-Josef hinterfragte ihre Auswahl nie, was aber wohl weniger an seinem Vertrauen als an seinem Desinteresse für Staatsgeschäfte lag. Sophie duldete die Neuerung stillschweigend, auch wenn Sissi sicher war, dass es ihr nicht passte.
Liebe, Schuldgefühle, Entschlossenheit. Je nach Tagesform lag mal das eine, mal das
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