SISSI - Die Vampirjägerin
vielleicht ebenfalls einladen.«
»Sie sind tot.« Franz-Josef schien die nächste Frage bereits zu ahnen, denn er fuhr fort, ohne Sissi Gelegenheit zu geben, sie zu stellen. »Sie starben bei der Französischen Revolution.«
»Das … äh …« Sie hielt inne. Eine Kluft schien zwischen ihr und Franz-Josef zu entstehen. Nein, korrigierte sie sich. Sie war immer da, verborgen unter seiner Zuneigung, aber trotzdem präsent. Natürlich misstraute er ihr, schließlich war es nicht ganz unwahrscheinlich, dass ihr Großvater seinen Vater getötet hatte. So viele waren damals gestorben. Herzog Max hatte lange Listen zusammengestellt, Seiten voller Namen, die den Erfolg der Kinder Echnatons belegen sollten. Sie war einmal stolz darauf gewesen, doch nun schmeckte der Gedanke daran bitter.
»Es tut mir leid.« Sie wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, aber Franz-Josef legte die Feder auf die Tischplatte.
»Ja, vielleicht«, sagte er. »Ich habe noch etwas zu erledigen. Wir können später weiter…«
»Warte.« Sie hielt seinen Arm fest. Unter dem Stoff seiner Uniformjacke war er so kühl wie das Zimmer.
Franz-Josef blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihr um.
»Ich weiß, dass wir beide schwere Lasten zu tragen haben«, fuhr Sissi fort, »aber wenn wir nicht anfangen, einander zu vertrauen, werden wir uns irgendwann nur noch belauern wie Wölfe – also, die mit Fell. Keine Liebe kann das überstehen.«
»Also gut«, sagte er angespannt, »fang an.«
»Womit?«
Er drehte sich um. In seinen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck, eine Mischung aus Hoffnung und Argwohn. »Mit der Wahrheit. Wieso bist du hier?«
»Weil ich dich lie…«
Er ließ sie nicht ausreden. »Du gehörst zu den Kindern Echnatons, also gehe ich davon aus, dass das auf deine ganze Familie zutrifft. Wenn ihr uns so sehr hasst, wieso hat deine Mutter dann Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Helene mit mir zu verheiraten?«
Sissi biss sich auf die Unterlippe. Die Wahrheit, dachte sie. Er will sie hören und er hat sie verdient.
»Weil sie den Auftrag hatte, euch alle zu töten.«
Einen Moment lang weiteten sich seine Augen, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Hast du den gleichen Auftrag?«
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß es nicht. Es ging alles so schnell, dass keine Entscheidung mehr gefällt werden konnte. Jemand in Wien sollte mir sagen, was ich zu tun habe, aber er ist bis jetzt nicht aufgetaucht.«
Franz-Josef entzog ihr seinen Arm. Er begann, auf und ab zu gehen, als könne er einfach nicht mehr still stehen. Er wirkte aufgewühlt.
Sissis Herz schlug schneller. Sie fürchtete auf einmal, dass er etwas herausgefunden hatte und sie gerade dabei war, durch seine Prüfung zu fallen. Sie sah ihn an. »Wieso fragst du mich das erst jetzt? Ich hätte dir die gleiche Antwort schon vor ein paar Wochen gegeben.«
»Und ich hätte dich damals fragen sollen«, sagte er, »aber es hat sich nie die Gelegenheit ergeben. Doch jetzt glaube ich, dass bald etwas geschehen wird. Bis dahin muss ich wissen, wem ich vertrauen kann, und du …«
Da zerbarst mit einem Knall die Fensterscheibe hinter ihm. Sissi duckte sich, noch während Franz-Josef sie zur Seite riss und mit seinem Körper schützte.
Scherben regneten zu Boden, bohrten sich in das Holz der Dielen und des Schreibtischs. Die Vorhänge bauschten sich im Wind, der plötzlich ins Zimmer fuhr.
Im ersten Moment dachte Sissi, draußen sei ein Baum umgestürzt und habe mit seinen Ästen das Fenster durchschlagen, doch dann sah sie den Mann, der wie ein Affe auf die Schreibtischplatte sprang. Sein Körper war gespickt mit Scherben, eine steckte sogar in seinem Auge, hatte es in der Mitte gespalten. Er schien es nicht einmal zu bemerken.
Sissi riss den Ärmel von der Jacke, die sie trug, und wickelte sich den Stoff um die Hand. Hastig griff sie nach einer langen Scherbe am Boden. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Franz-Josef in die Hocke ging, um sich dem Vampir entgegenzuwerfen. Er hatte den Mund geöffnet. Seine Fangzähne glänzten feucht im Licht der Kerzen. Sie hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Aus anderen Zimmern hörte sie ebenfalls das Splittern von Glas, Gepolter und Schreie. Sie holte mit der Scherbe aus.
»Ruhe«, sagte der Vampir.
Sissi erstarrte. Ihr Körper schien zu Stein zu werden, wehrte sich gegen jede Bewegung. Ihre Zunge lag schlaff in ihrem geschlossenen, reglosen Mund, ihr Blick war starr auf den Vampir gerichtet. Sie konnte nicht
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