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SISSI - Die Vampirjägerin

SISSI - Die Vampirjägerin

Titel: SISSI - Die Vampirjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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andere Gefühl in dem Chaos ihrer Gedanken vorn. Sissi kam sich manchmal vor wie eine Fremde in ihrem eigenen Kopf, die darauf wartete, dass die kriegerischen Parteien darin ihren Konflikt endlich beilegten. Seit Monaten wartete sie schon, aber bisher war nichts dergleichen geschehen.
    Also verdrängte sie die Fragen nach ihrer Zukunft, so gut es ging, und versuchte stattdessen, die schier unerträgliche Langeweile des Hoflebens irgendwie zu bewältigen.
    Alles war reglementiert. Es gab Zofen, die sie morgens ankleideten, und andere, die sie abends wieder auszogen. Zwischen ihnen herrschte praktisch Krieg, denn die Morgenzofen hielten sich für wichtiger als die Abendzofen und umgekehrt.
    Das Gerangel um die Nähe zur zukünftigen Kaiserin und ihre Aufmerksamkeit setzte sich den ganzen Tag über fort. Hofdamen umschwirrten sie wie Bienen eine Blüte, summten und säuselten ihr den neuesten Tratsch zu, in der Hoffnung, sie zu amüsieren. Sissi lächelte, wenn es ihr angebracht erschien, blickte streng, wenn es die anderen ebenfalls taten, und ließ die Gespräche an sich vorbeirauschen. Wenn es die Höflichkeit erlaubte, zog sie sich in Franz-Josefs Arbeitszimmer zurück und las sich in Staatsangelegenheiten ein.
    Doch sie lebte nur in den Nächten.
    Sobald Franz-Josef nach dem Aufstehen getrunken hatte, kam er zu ihr. In ihrer Gegenwart saugte er niemanden aus, nur einmal hatte sie ihn in seinen Gemächern dabei überrascht und die Tür geschlossen, bevor er sie bemerken konnte.
    Franz-Josef lehrte sie ungarisch, französisch und serbisch. Bei ihrer ersten Unterrichtsstunde hatte er ihr ein Fremdwörterlexikon geschenkt und sie gebeten, darin zu lesen, aber sie hatte gelacht und gefragt, ob er denke, sie sei unter Pyggimäen aufgewachsen. Es war wichtig, dass er sich ihr gegenüber nicht zu überlegen fühlte.
    Doch am frühen Morgen, als sie schließlich zu Bett ging, hatte sie das Buch dann doch geöffnet und nach nur wenigen Einträgen war ihr die Schamesröte ins Gesicht gestiegen. War es wirklich möglich, dass sie all diese Worte falsch ausgesprochen hatte, dass es Analyse hieß und nicht Hannalüse , Aggression und nicht Assegrion und Anthologie und nicht Antilogie – sie hatte geglaubt, man drücke damit die Abneigung gegen das Vermieten von Zimmern aus. Sie stellte sich vor, wie sie diese Worte, die sie nur durch die geschlossene Tür des Langweilzimmers gehört hatte, immer und immer wieder falsch benutzt hatte, ohne dass sie jemand darauf aufmerksam gemacht hatte.
    Warum hätten sie es auch tun sollen?, dachte sie. Ich war doch nur die Sissi, die kleine, dumme Sissi, die ihrem »Papili« hinterherlief wie ein Schoßhund. Aber ich bin nicht mehr so dumm.
    Jede Nacht las sie nun in dem Buch. Und Sie lernte.
    Sissi sah aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu schneien. Schneeflocken wirbelten im Licht der Gaslaternen umher.
    Sie hatte den Winter früher nie gemocht, doch seit sie in der Hofburg lebte, sehnte Sissi die dunkle Zeit mit ihren kurzen Tagen und langen Nächten herbei. Wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie den Sommer verboten.
    Draußen knarrten Holzdielen, dann betrat Franz-Josef, ohne anzuklopfen, das Zimmer. Sein Gesicht wirkte voll, er selbst vital und frisch. Er hatte bereits gefrühstückt.
    Sissi stand auf und küsste ihn. Sein Mund schmeckte nie nach Blut. Sie wusste nicht, ob er ihn ausspülte oder ob es einen anderen Grund dafür gab. Sie würde ihn auch nicht danach fragen.
    »Meine Eltern möchten das Weihnachtsfest mit uns verbringen«, sagte sie. »Spricht etwas dagegen?«
    »Nein, natürlich nicht.« Franz-Josef erwiderte ihren Kuss, dann setzte er sich hinter den Schreibtisch. »Muss ich das alles unterschreiben?«, fragte er mit einem Blick auf die Aktenberge.
    »Nur den rechten Stapel. Du kannst ihn auch gern vorher lesen.« Sissi versuchte immer wieder, Franz-Josef für die Staatsgeschäfte zu interessieren, allerdings mit mäßigem Erfolg. Auch dieses Mal winkte er nur ab.
    »Du machst das schon richtig«, sagte er, während er den Deckel des Tintenfasses aufklappte und die Schreibfeder hineintauchte.
    Sissi setzte sich auf die Schreibtischkante. »Was ist mit deinen Eltern?«, fragte sie.
    »Was soll mit ihnen sein?« Franz-Josef klang gleichgültig, aber Sissi sah, dass die Schreibfeder vergessen zwischen seinen Fingern hing. Tinte tropfte auf einen Aktendeckel.
    »Du sprichst nie über sie und ich kenne sie nicht.« Sissi hob die Schultern. »Ich dachte, wir könnten sie

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