Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sister Sox

Titel: Sister Sox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
seinen Häuschen links und rechts der großen Straße angesiedelt hat, war, so schien es, ein sangesfreudiger Menschenschlag, der noch dazu einen beträchtlichen Frauenüberschuss produziert hatte. Die Mädels waren alle ziemlich aufgebrezelt. Von Lolitas zu sprechen, wäre unpassend und veraltet, wo wir doch kurz vor der Erfindung des Wonderbras für Kindergartenkinder stehen. Manche von ihnen vollführten auf dem Gehsteig synchrone Tanzschritte, zu dritt oder zu viert, vorwärts, rückwärts wiegend, dann ein rascher Schritt nach vorn und mit ausgestreckter Hand in das Publikum zeigend, das nochnicht versammelt war. Die meisten sangen mit dünnen hohen Stimmchen dazu, ein Girlie-Gedüse, bei dem einer wie ich keinen charakteristischen Unterschied mehr ausmachen konnte. Aber sie alle hatten diesen ekstatisch schräg nach oben gerichteten Blick, den schon meine Kollegin Theresia von Ávila vom Orden der Unbeschuhten Karmeliterinnen vor vierhundert Jahren drauf hatte.
    Je näher ich an die gesuchte Adresse herankam, desto seltsamer mutete das Treiben an. Eine Mädchendemo? Ein Straßenfest für kleine Schwestern? Das Chill-Out für Teenies? Das Rätsel löste sich, als ich ein Plakat bemerkte, das an einem Zaun befestigt war:
    Audition! Hast du Stimme, kannst du tanzen, bist du hübsch? Dann präsentiere uns deinen Song. Wir machen was aus dir!
    Das Ganze war eine Aktion von Rocket Records . Jede in dieser tänzelnden Pilgerschar war also von der Hoffnung getrieben, ein Star zu werden. Der Flachbau von Rocket Records hatte dem Aussehen nach einmal als Bunker gedient und war von einem soliden Zaun umgeben. Dort in der Nähe des Eingangs, wo sich die Mädchengruppen stauten, schien die Stimmung gekippt zu sein. Missmutig die einen, Tränen zerdrückend die anderen, aber alle extrem abgeturnt. Die meisten setzten sich auf den Boden, begannen zu rauchen oder warteten darauf, dass irgendwie irgendwas doch noch passieren würde, denn das Plakat, das am Eingang hing, war mit einem großen roten Entfällt! überklebt.
    Jetzt taten sie mir Leid, und ich schämte mich für die Bösartigkeiten, die mir durch den Kopf gegangen waren. Schließlich hatte auch ich mir einst eine Gitarre gekauft, sie an dasRöhrenradio gehängt und so lange Seven Golden Daffodils am offenen Fenster geübt, bis eine Delegation der durchaus wohlmeinenden Nachbarschaft meine Eltern auf Knien und unter Tränen um die Einrichtung eines schalldichten Kellerraums bat. Man hätte mir damals schon klar machen können, dass ich die melodische Begabung eines mondsüchtigen Kettenhunds und das Rhythmusgefühl eines Ochsen hatte. Aber ich musste mich bis zum Glamrock durchfretten, bis meinem entnervten Kogitarristen der Geduldsfaden riss und er mich ziemlich rabiat darauf hinwies, dass ich immer nur die Hälfte der Töne spielte. Und ich hatte das noch nicht mal gehört. Nach einer kurzen und heftigen Zweitkarriere als Dreiakkord-Punker hatte ich dann meine orangefarbene Höfner endgültig in den Schrank gestellt. Von solch einer Verirrung waren die meisten dieser Mädels noch weit entfernt, und man musste vielleicht nur ein wenig Geduld mit ihnen haben. Im Übrigen waren diese Rattenfänger im Bunker diejenigen, denen man auf die Zehen treten musste. Sie waren es schließlich, unter deren gewalttätigem Einfluss aus hochgesteckten Hoffnungen verkrüppelte Karrieren wie die von Sascha, Pia und anderen wurden. Genau deswegen war ich ja da, ich musste mir nur noch Zutritt verschaffen.
    Ich ging am Zaun entlang um den Bunker herum. Dorthinein ins Unterholz hatte sich keines der hübsch gemachten Mädchen getraut. Wer wollte sich schon das Outfit versauen? Der Mönch hingegen ist auch ein Mann der Arbeit, und ein paar Kletten am Wams tun nicht weh. Auf der Rückseite fand ich einen kleinen Auslass, ein Gartentürchen, das zwar gut verschlossen war, aber nur mit einem hüfthohenGitter, so dass ich es mit einer Kapuzinerflanke leicht überwinden konnte.
    Ich stand in einem feucht-modrigen, dunklen Garten, in dem Gerät, Holz und sonstiger Müll vor sich hin schimmelte. Was mir zugute kam, war, dass man hinten keinerlei Fenster in den Stahlbeton des Bunkers geschnitten hatte. Eine glitschige Treppe führte hinunter in den Keller. Mücken flogen auf und schwirrten um mich herum. Den Kellereingang bildete eine efeubewachsene Holztür, die keinen besonders stabilen Eindruck machte. Ich gab ihr einen Tritt, und sie kippte nach innen. Der Weg war frei.
    Die Kellerräume

Weitere Kostenlose Bücher