Sisters of Misery
Foto von Cordelia hoch. Je länger sie suchten, desto stiller und verzweifelter wurde Rebecca. Irgendwann übernahm schlieÃlich Maddie das Reden, während ihre Tante stumm und mit zutiefst gequältem Gesicht neben ihr stand.
Als sich später schwer und hoffnungsleer die Abenddämmerung über sie senkte, musste Maddie sich endlich dem unguten Gefühl stellen, das sie schon den ganzen Tag über begleitet hatte: Auf Misery Island war irgendetwas geschehen, das Cordelia daran hinderte, nach Hause zu kommen. Obwohl es für eine offizielle Vermisstenanzeige eigentlich noch viel zu früh war, erklärte sich Officer Garrett Sullivan später am Abend bereit, zu ihnen nach Hause zu kommen und die Meldung zumindest schon einmal aufzunehmen.
Als er gegen Mitternacht bei ihnen eintraf, setzten sie sich alle ins Wohnzimmer, wo er Maddie wieder und immer wieder fragte, wann genau sie ihre Cousine zuletzt gesehen hatte. Maddie suchte verzweifelt nach irgendeiner Möglichkeit, den Polizisten auf die richtige Spur zu führen, ohne zu viele Details über die Nacht auf Misery Island preiszugeben. Doch am Ende gab sie ihm die gleichen knappen und unverbindlichen Antworten, die sie auch schon ihrer Tante, Mutter und GroÃmutter gegeben hatte. Sie wusste, dass sie die Nachforschungen damit in keiner Weise unterstützte, aber irgendetwas in
ihr sträubte sich dagegen, die ganze Wahrheit zu sagen. War sie letzten Endes nicht genauso verantwortlich wie die anderen? Hatte sie denn irgendetwas getan, um es zu verhindern? Sie hätte die Dinge, die in dieser Nacht geschehen waren, so gerne in Worte gefasst, versank jedoch mit jeder Minute tiefer in dem Strudel aus Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen, als würde Cordelias Blut auch an ihren Händen kleben.
Kate war diejenige, die für die grausamen Taten verantwortlich war, aber Maddie hatte Cordelia auf die Insel gebracht. Machte sie das nicht genauso schuldig? Sie schämte sich so sehr, dass sie es nicht über sich brachte, ihrer Familie irgendetwas davon zu erzählen. Wie hätte sie ihnen danach je wieder in die Augen sehen können?
»Ist sie mit jemandem zusammen? Hat sie irgendwelche Feinde? Wann hast du das letzte Mal mit ihr gesprochen? War sie in letzter Zeit vielleicht anders als sonst? Angespannter? Nervöser? Ist sie schon öfter einfach so von zu Hause fortgeblieben? Mit wem ist sie befreundet? WeiÃt du, ob irgendjemand wütend auf sie war?« Sullivan schoss seine Fragen auf sie ab, als wäre sie die Zielscheibe auf einem SchieÃplatz.
Stammelnd und schluchzend, versuchte Maddie, dem Kleinstadtpolizisten ein Bild von Cordelia zu vermitteln - diesem jungen Mann, der gerade selbst erst seinen Schulabschluss gemacht hatte und vor nicht allzu langer Zeit noch als extrem feier- und trinkfreudig bekannt gewesen war. Wer konnte wissen, ob er nicht selbst etwas mit Cordelias Verschwinden zu tun hatte? , dachte sie. Cordelia war wunderschön und unerreichbar, ein Freigeist und eine Rebellin. In Anbetracht der dunklen Geschichte der Stadt, könnte jeder hier verdächtig sein - sogar Maddie.
Am nächsten Tag gemahnte Cordelias leerer Platz in der Schule daran, dass niemand sicher war. Ihr Tisch war über und über mit Blumen bedeckt und wirkte wie eine Gedenkstätte. Maddie war zutiefst gerührt von ihren Mitschülern, bis sie sah, wie Kate und Bridget sich die Blumen gegenseitig in die Haare flochten.
Erst beim Mittagessen hatten die Sisters of Misery Gelegenheit, die Geschehnisse der Halloween-Nacht zu besprechen. Maddie drängte die Mädchen, zur Polizei zu gehen und dort ihre Version der Ereignisse, die zu Cordelias Verschwinden geführt hatten, anzugeben.
»Bist du vollkommen verrückt geworden, Maddie? Wenn du wegen Mithilfe an einem Verbrechen in den Knast wandern willst - bitte. Aber ich ganz bestimmt nicht«, fauchte Kate.
»Was glaubst du, was mit ihr passiert sein könnte?«, fragte Maddie.
»Jetzt spiel hier bloà nicht die Unschuldige, Maddie. Du warst doch die ganze Nacht dabei und weiÃt ganz genau, was passiert ist«, zischte Kate. »Und wenn irgendeine von euch Cordelias besonderes Aufnahmeritual gern am eigenen Leib erleben möchte - nur zu! Geht zur Polizei und erleichtert euer ScheiÃgewissen. Ihr könnt es von mir aus auch der ganzen Welt erzählen, nur solltet ihr euch dann auf eine noch aufregendere Nacht auf Misery Island gefasst
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