Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
Vom Netzwerk:
erschien, durfte die Familie sich an den Tisch setzen. Mama presste mich in meinen Ski-Anzug, in dem ich aussah wie eine Raupe aus dem All, und ich hüpfte erwartungsfroh nach draußen und atmete die Schneeluft ein. Weiße Felder, über die sich Strommasten spannten, der Birkenwald, die krummen Wege und kastenförmigen Häuser, alles schien in einem ewigen, friedlichen Schlummer zu liegen. Am Himmel war kein einziger Stern zu sehen, also suchte ich in der weißen Unendlichkeit nach Spuren von Vögeln und Tieren, denen man nachsagte, dass sie an Heiligabend die Sprache der Menschen sprachen. Da schüttelte ein widerspenstiger Ast Schnee über meiner Kapuze ab, und als ich nach oben sah, flogen in erhabener Langsamkeit neue, flauschige Flocken in mein vor Kälte spannendes Gesicht. In ihren lautlosen Tanz mischte sich ein leises, fernes Rauschen. Ich fing einzelne Flocken mit meiner Zunge auf. Dabei schien mir, als ob das Rauschen immer lauter würde. Durch den glitzernden Schnee stapfte ich zurück in Richtung Haustür. An manchen Abenden war eben kein Stern zu sehen, und wenn es noch so dunkel war. Plötzlich war Mops aus seiner Hütte gestürmt. Unruhig lief er auf und ab und rasselte mit den Ketten. Während das geheimnisvolle Rauschen immer lauter und störender wurde, näherte sich gleichsam ein helles, gelbes Licht. Bei dem Gedanken, es könnte sich um ufoludki handeln, die meist in stillen Nächten die Erde besuchten, wurde mir mulmig und bange. Doch zu meiner Erleichterung hörte ich durch den Schnee etwas knirschen, das wie Reifen klang. Ich lief zum Tor und verbarg mich hinter der alten Eiche. Gebannt beobachtete ich, wie vor dem Gartenzaun ein riesiges, schneeweißes Auto zum Stehen kam. Nie zuvor hatte ich ein solches Gefährt zu sehen bekommen. Es war schön wie ein Raumschiff. Sogleich fiel mein Blick auf einen dreiarmigen Stern, eingefasst von einem silbernen Ring, der vorn an der Motorhaube befestigt war. Hatte ich meinen Stern etwa schon gefunden?
    Aus dem Auto stieg nun ein groß gewachsener Mann. Er trug eine Lederjacke und zündete sich eine Zigarette an. Erst jetzt erkannte ich, wer es war.
    »Onkel Marek«, flüsterte ich ungläubig, bevor ich mit offenen Armen auf ihn zurannte.
    »Ola!«, rief er freudig, hob mich hoch und drückte mich an sich, wie er es früher immer gemacht hatte. Aber irgendetwas war anders. Bald kam ich darauf, was fehlte: Er hatte sich tatsächlich den Schnurrbart abrasiert.
    Im Fenster zum Tor drängten sich bereits die Köpfe von Mama, Papa und Oma. Es dauerte nicht lange, bis alle vor der Tür standen und O-förmige Münder zwischen ihren Händen machten.
    »Nein, das gibt es doch nicht«, rief Papa.
    »Was für eine Überraschung! Wir dachten, wir sehen dich nie wieder«, quiekte Mama.
    Oma sagte nichts. Sie hatte die Arme über der Brust verschränkt und schaute gleichsam beleidigt und amüsiert, bevor sie Onkel Marek an sich drückte.
    »Was ist denn das für eine komische Hose?«, ratterte sie los. »Kannst du dir nichts Schickes anziehen, wenn du an Heiligabend bei deiner Mutter einkehrst?«
    »Aber im rajch ist das der letzte Schrei!«, rechtfertigte sich Onkel Marek. Oma schüttelte ihren toupierten Kopf. »Du siehst aus, als wärst du in einen Betonmischer gefallen«, spottete sie.
    Nach dem Essen erzählte uns Onkel Marek sofort allerlei Interessantes aus seinem Leben als »Aussiedler«. Staunend ließen wir uns berichten, dass in BRD niemand einen Schnurrbart, dafür aber jeder ein Telefon hatte. »In Dojczland nennt man mich übrigens Markus«, warf Onkel ein.
    »Markus-Schmarkus!«, fuhr Oma ihm ins Wort. »Und darauf bist du stolz? Hast du mir denn wenigstens Rosinen mitgebracht?«
    »Nicht nur Rosinen«, entgegnete Onkel Marek mit wissend hochgezogenem Mundwinkel. »Wenn ihr dann mal bitte alle in die Küche gehen würdet, bis das Christkind mit dem Glöckchen klingelt?«
    »Was für ein Theater«, keifte Oma, und wir folgten ihr an den Küchentisch. Ich war so aufgeregt, dass ich nicht lange stillsitzen konnte. Das Ohr an die Tür gepresst, lauschte ich auf das Geraschel des Christkinds. Immer wieder hörte ich etwas Schweres auf den Boden plumpsen und ein Geräusch, als würde eine Kartoffel-Lawine heranrollen. Als ich es vor Spannung kaum noch aushielt, klingelte endlich das Glöckchen.
    Mama hatte als Erste die Küche verlassen und trat zögernd ins Wohnzimmer, wo Onkel Marek stramm und erhaben wie der Weihnachtsmann persönlich im Sessel thronte und

Weitere Kostenlose Bücher