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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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indem ihr Löcher in die Münzen bohrt und sie auf dem Markt als Knöpfe verkauft.« Meine Eltern schwiegen betreten. »Ihr solltet rausfahren. Ich meine es ernst.«
    »Das kommt gar nicht in Frage«, protestierte Papa. »Wir haben gerade erst alle Zimmer neu gestrichen! Und wo sollten wir in Deutschland überhaupt wohnen? Zu viert in einem Pappkarton?«
    »Aber nein«, sagte Onkel Marek ruhig. »Deutschland ist ein reiches Land. Sie geben euch eine Wohnung für den Übergang, und irgendeine Arbeit werdet ihr auch finden.«
    »Ich weiß nicht, Marek«, sagte Mama. »Paweł hat recht. Wir haben gerade renoviert …«
    »Die Farbe ist in einem halben Jahr wieder abgebröckelt«, erwiderte Onkel Marek. »Wenn ihr euch schon selbst nicht helfen wollt, dann denkt wenigstens an Ola und Tomek. In Polen haben die Kinder doch keine Zukunft.«
    Endlich sah ich meinen Moment gekommen.
    »Ich will Zukunft!«, brüllte ich unbeherrscht und sprang unter dem Tisch hervor. »Und Gummibärchen!« Meine Eltern sahen mich erstaunt an, während Onkel Marek leise applaudierte. »Wenn wir rausfahren, werde ich immer brav sein!«, brüllte ich weiter. »Versprochen. Wir müssen nach BRD . Bitte, bitte, bitte! Ich mache alles, was ihr wollt.« Erwartungsvoll blickte ich in die besorgten Gesichter meiner Eltern.
    In dem Moment klopfte es an der Tür. »Mal sehen«, murmelte Mama hastig. »Das wird Oma sein. Nimm die Taschenlampe und mach ihr auf.« Bevor ich erhitzt aus der Küche stürmte, hörte ich Onkel Marek noch sagen: »Ihr müsst bald eine Entscheidung treffen. Ich kann euch mitnehmen, wenn ich zurückfahre.«
    Kurz nach Silvester hatten meine Eltern sich entschieden. Wir würden für immer in Polen bleiben. Onkel Marek fuhr in seinem weißen Mercedes zurück nach Deutschland, und ich tat, was alle Menschen am äußersten Rand der Verzweiflung tun: Ich nahm Zuflucht zur Religion. Tante Selma war der Ansicht, dass es viel unkomplizierter war, in den Himmel zu kommen als in die BRD . Wenn man starb, ließen die Engel einfach eine Strickleiter herunter, an der man hochklettern konnte. Der Eingang zum Himmel war ein goldenes Tor, das sich an Ostern öffnete und jedes Mal, wenn es blitzte. Zudem waren außer einem katholischen Taufschein keine weiteren Papiere nötig. Ich glaubte Selma jedes Wort, denn sie schien mit dem Herrgott auf Du und Du zu stehen. Trotzdem betete ich lieber zur Jungfrau Maria. Im Gegensatz zum Herrgott hatte diese ein feines, gutmütiges Gesicht, und mir gefiel, wie das Gewand verschlungene Falten um ihre zierlichen Füße schlug. Über Monate flehte ich sie an, dass meine Eltern es sich noch anders überlegen mögen. Vom vielen Rosenkranzwälzen hatte ich ganz wunde Fingerkuppen bekommen, und ich ging so oft in die Kirche, dass sie vom Weihwasser zusätzlich schrumpelig waren. Als ich Tante Selma eines Tages verriet, wofür ich so inbrünstig betete, erzählte sie mir in drohendem Ton, dass der Papst persönlich die Polen gebeten habe, ihre Heimat nicht zu verlassen. Langsam regten sich Zweifel in mir. Wenn Gott nur mein Bestes wollte, wie konnte er mich dann so unglücklich machen? Angeblich war er überall, aber niemandem war es je gelungen, ihn beispielsweise in einem Gewürzfach oder einem Verbandkasten zu erwischen. Vielleicht war er nur ein betrügerischer Opa, der sich als Zauberer von Oz ausgab. Vielleicht tat er auf seiner dicken Wolke sitzend nichts anderes, als gemütlich Pfeife zu rauchen, wie die Raupe aus »Alice im Wunderland«. Enttäuscht wandte ich mich von ihm ab.
    Doch kaum hatte ich der Religion abgeschworen, erreichte uns ein Brief von Onkel Marek.
    Nach reiflicher Überlegung habe ich beschlossen, Euch meinen alten Fiat zu überlassen. Es ist nur eine Bedingung daran geknüpft: Ihr müsst mich noch dieses Jahr in DOJCZLAND besuchen.
    Ein Fiat Polski , den der Volksmund maluch nannte – Winzling –, war ein lächerlich kleines Auto, das man durch Schieben zum Laufen brachte und dessen Bremsen am besten funktionierten, wenn man ihn sanft gegen einen Baum fuhr. So ein Auto war der Traum von vielen, aber nur wenigen wurde das Glück zuteil. Auf seinen eigenen maluch wartete mein Vater schon seit sieben Jahren. Was blieb meinen Eltern also anderes übrig, als Mareks Angebot anzunehmen?
    »Zum Herbst hin fahren wir in den Westen«, sagte Papa, nachdem er stolz in den senfgelben Fiat geklettert war. Er saß wie angegossen.
    Nach diesem wunderbaren Vorfall kehrte mein Glaube schneller wieder,

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