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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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darin gefeiert, aber wenigstens sah es nicht mehr danach aus.
    »Ich habe die Ecken geschrubbt und den Dreck von den Wänden gespachtelt«, sagte Mama müde, aber stolz. »Und ihr?«
    »Hast du schon mal so ein Eis gesehen?«, fragte ich und hielt ihr unsere Beute vor die Nase. Mama schüttelte den Kopf und legte die Stangen für die genauere Untersuchung nebeneinander auf den Tisch: grün, pink, noch mal grün, gelb und braun. Wie Ärzte über einem Patienten mit seltener Krankheit standen wir um den Tisch gebeugt und starrten die Stangen so lange ratlos an, bis sich eine Pfütze um sie herum gebildet hatte. Das Eis war geschmolzen. Mama nahm ein Tütchen mit der schwappenden Flüssigkeit in die Hand, schnitt sie auf und füllte den Inhalt in den Becher einer Thermoskanne. Vorsichtig konnten wir nun am süßen Nektar nippen, nur um festzustellen, dass das billigste deutsche Eis nichts anderes als gefrorene Limonade ohne Kohlensäure war.

12.
Das leuchtende A
    Nach nur einer Woche in Unna-Massen wurden unsere aus Hamm mitgebrachten Vorräte knapp, und Mama musste sich ihrer größten Angst stellen: der Angst, Geld auszugeben.
    Von »Supermärkten« hatten wir schon viel gehört. Angeblich durfte man dort einfach reinmarschieren und sich alles selbst aus den Regalen nehmen. Diese Regale waren nie leer! Auch gab es keine Schlangen vor dem Eingang wie in Polen, allenfalls an der Kasse, von denen es in einem Laden gleich mehrere geben sollte. Die Geschichten von automatischen Warenbändern, Einkaufswagen für einen Euro und maschinell erstellten Quittungen klangen so schön, dass Papa vor unserem ersten Supermarktbesuch etwas Extrageld mitnahm, falls man doch so etwas wie Eintritt von uns verlangen würde.
    Das Verwirrende an deutschen Geschäften war, dass sie oft ganz anders hießen als das, was in ihnen verkauft wurde. Ein Schuhgeschäft hieß nicht einfach » SCHUHE «, sondern beispielsweise »Deichmann«, was, wie Papa im Wörterbuch nachgeschlagen hatte, womöglich etwas mit Deichen, aber rein gar nichts mit Schuhen zu tun hatte. Genauso war es mit Supermärkten. Es gab mehrere Supermärkte in Unna-Massen, die alle einen eigenen Namen hatten. Einer hieß » EDEKA «, ein anderer »Plus«. Von Onkel Marek wurde uns ein Supermarkt empfohlen, der den Namen »Aldi« trug.
    Als wir am frühen Abend herausgeputzt und wohlfrisiert auf das große leuchtende »A« zugingen, begann Mama wieder zu zweifeln.
    »Vielleicht kehren wir doch besser um?«, sagte sie scheu. »Wir haben zu Hause noch zwei Scheiben Brot, das reicht doch fürs Abendessen.«
    Da geschah etwas Magisches: Die Glastür, die ins Innere des Supermarkts führte, öffnete sich wie von Zauberhand. Wie war das möglich? Kaum war ich hineingelaufen, rannte ich wieder hinaus. Die Tür schloss sich. Langsam ging ich wieder auf sie zu. »Sesam, öffne dich!«, befahl ich, aber sie war schneller. Ich rannte wieder hinein, wo meine Eltern vor einer Raupe aus aneinandergeketteten Einkaufswagen standen und sich nicht recht zu helfen wussten. Als sie den Trick mit der Münze endlich raushatten, gingen wir durch das Drehkreuz und traten in eine unvorstellbar prächtige Schatzkammer voll glänzender, bunter Waren, in der sich der ganze Reichtum Deutschlands türmte. Wir passierten Pyramiden aus Konservendosen und Glaspaläste aus Mineralwasserflaschen. Ich fand mich vor einem leuchtenden Kühlregal, das mit unzähligen Joghurtsorten gefüllt war. Alle Geschmacksrichtungen, die man sich denken konnte, gegossen in unterschiedlichste Becherformen, und wie viele unterschiedliche Namen die hatten! In Polen gab es von allem jeweils nur eine Sorte. Butter hieß immer Butter und sah immer gleich aus, eine blasse Kuh auf weißem Grund. Das galt auch für Joghurt, den es ohnehin nur in Großstädten zu kaufen gab. Gerade als ich ehrfürchtig meine Hand nach den bunten Bechern ausstreckte, fuhr Mama mahnend dazwischen: »Halt! Besser nichts anfassen! Sonst müssen wir es noch kaufen!«
    Ich rannte von Regal zu Regal, zählte, wie viel es von diesem und jenem gab, und entdeckte Dinge, von deren Existenz ich nicht mal zu träumen gewagt hätte. Wurstscheiben mit Bärchengesichtern! Bananensaft! Tiefgefrorene Torten! Ich war versucht, die Zunge in die Kühltruhe zu hängen.
    Bald hatte ich die chinesische Abteilung entdeckt. Dosen mit Hundeköpfen verschiedener Rassen reihten sich aneinander. Es war ein so schauderhafter Anblick, dass ich froh war, mich an Papas Pullover festhalten

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