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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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zu können.
    »Die Deutschen essen Hunde!«, berichtete ich ihm entsetzt.
    »Ach was. Das glaube ich nicht«, lachte Papa.
    Ich zeigte ihm das chinesische Regal.
    »Das ist Tiernahrung, du Dummkopf! FÜR Hunde!«
    »Was? Extra für Hunde?« Ich war mir nicht sicher, was ich sonderbarer finden sollte. Hunde zu essen oder Hunden Essen zu kaufen. Unserem Mops hatten jedenfalls die Reste vom Vortag gereicht, die Oma ihm in einem alten Topf in den Zwinger stellte.
    In der Süßigkeiten-Abteilung fiel Papa endlich ein, dass er seine russische Kamera um den Hals trug. Er positionierte Tomek und mich vor dem Haribo-Sortiment, und wir vollführten aufständische Gebärden nach Art eines kommunistischen Denkmals.
    »Mama muss mit aufs Foto!«, fiel Papa ein. »Wo steckt sie denn überhaupt?«
    Wir fanden sie vor dem abgepackten Fleisch im Kühlregal. Mit der Hand auf dem Herzen und weit aufgesperrtem Mund stand sie da, mit der anderen Hand fächerte sie sich Luft zu. Dann wanderte ihre Hand von der Brust über die Stirn, und schon sahen wir sie ohnmächtig zu Boden gleiten. Papa riss sich sofort los, um Mama wieder auf die Beine zu helfen. Der Anblick deutscher Wurstlandschaften war zu viel für eine Frau, die aus Polen nur leere Metzgerhaken kannte. Mama kämpfte so sehr mit dem Gleichgewicht, dass Papa sie in den Einkaufswagen setzen musste. Er pflanzte ihr Tomek auf den Bauch, mich stellte er daneben, die Hände um den Griff des Einkaufswagens, und dann schoss er seinen ganzen Film mit diesem Motiv leer. Während er auf eigene Faust die Einkäufe erledigte, schob ich meine verwirrte Mama im Einkaufswagen zum Ausgang. Und wieder öffnete sich die Tür automatisch, um uns sanft aus der Schatzkammer zu führen. So kam es, dass wir von diesem Tag an Aldi respektvoller »Aladin« nannten.
    An unserem vorletzten Tag in Unna-Massen schrieb Mama einen Brief an Oma Greta:
    9. September 1989
    Liebe Mutter,
    wir haben beschlossen, in Deutschland zu bleiben.
    Die Umstände sind schwierig, aber ich habe hier noch niemanden kennengelernt, der wieder zurück wollte. Die meisten freuen sich, dass es ihnen rechtzeitig gelungen ist, das Land zu verlassen. Das Rote Kreuz hat uns mit etwas Kleidung für den Herbst versorgt. Es sind sehr ordentliche und robuste Sachen. Ich bin froh, dass wir dafür kein Geld ausgeben müssen, denn Kinderkleidung soll hier dreimal so teuer sein wie normale Kleidung.
    Seit wir in Unna-Massen sind, müssen wir uns selbst versorgen. Es gibt hier Dosen zu kaufen mit fertiger Suppe, die man nur im Topf warm machen muss, und tiefgefrorene Fischstäbchen und Klopse zum Braten. Dazu serviere ich köstliches Ananas-Kompott, ebenfalls aus der Dose. Wir trinken sogenannten »Multivitaminsaft«, der aus vielen verschiedenen Fruchtsorten besteht. Die Gesichtchen der Kinder haben Farbe angenommen, seit sie Sachen naschen können, die sie in Polen nicht mal zu Festtagen bekommen haben.
    Ich küsse Dich,
    Danuta
    Und Papa schrieb drunter:
    Liebe Mutter,
    das Beste an Deutschland sind die Autobahnen. Mein Wagen sorgt hier nur für Stockungen im Verkehr. Ich fahre 70 km/h und werde ständig von Lastwagen überholt. Stau ist hier ein häufiges Phänomen, für das es in Polen noch gar nicht genug Autos gibt. Gestern hatten wir ein Beratungsgespräch über unseren künftigen Wohnort. Schon übermorgen ziehen wir nach Neustadt, bei Düsseldorf. Dort hat man uns eine Notwohnung versprochen. Wir werden von nun an abwechselnd Dir und meinen Eltern schreiben. Bitte lies ihnen diesen Brief vor, wenn Du sie siehst.
    Paweł
    Für mich war die Rückseite reserviert. Ich schrieb:
    Liebe Oma,
    wie geht es Dir? Was macht Mops? Willst Du nicht auch nach Deutschland kommen? Tomek und ich vermissen Dich. Wusstest Du, dass es Gummibärchen nicht nur in Bärchenform gibt? Wir haben uns schon HARIBO Colaflaschen, HARIBO Saure Pommes und HARIBO Schnuller gekauft. Wenn man den Schnullerzipfel abbeißt, werden HARIBO Klobrillen draus.
    Deine Ola

13.
Eine Baracke voller Helden
    Die Stadt, die uns aufgenommen hatte, war für ihre Kokoskekse bekannt. Der Wind trug ihren süßen schweren Duft über Fabrikschlote und graue Einkaufszentren, über die Häfen am Rhein und die hellgrünen Turmdächer romanischer Kirchen. Im Süden der Stadt, dort, wo die Häuser ärmlicher wirkten, nikotingelbe Gardinen sich in den Fenstern wölbten und Kinder mit Augenringen bis in die Nacht im künstlichen Licht der Tankstellen saßen, lag in einem wilden Stück Grün

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