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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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bewunderte ein goldenes Näpfchen, auf dem »Nutella« geschrieben stand. Schließlich zog ich aus Neugierde den Deckel ab und schnupperte. Nutella roch wie Schokolade. Auf dem Deckel war eine Scheibe Brot abgebildet, die damit bestrichen zu sein schien. Aber wer schmierte sich schon Schokolade aufs Brot? Als Mama Tomek im Bauch hatte, aß sie Scheußlichkeiten wie Sardinen mit Himbeerpudding. Daraus schloss ich, dass Schokolade auf Brot auch Spezial-Essen für Schwangere war. Trotzdem schleckte ich den Napf heimlich aus.
    In den zwei Wochen, die wir in Hamm verbrachten, frühstückten wir immer nur ganz wenig. Wir sammelten und horteten und ängstigten uns vor den Stunden, da die Quelle der wunderbaren Frühstücksminiaturen versiegt sein würde. Dank der guten Deutschkenntnisse von Frau Kellermann gelang es meinen Eltern, alle bürokratischen Hürden zu meistern. Papa wurde Spezialist für Registrierungs- und Antragsformulare und gefiel sich darin, Neuankömmlinge von ihren anfänglichen Existenzängsten zu befreien. Gebraucht zu werden, versetzte ihn in eine so gute Stimmung, dass er mir ohne Vorbehalte das winzige Piano kaufte, von dem ich seit unserer Ankunft geschwärmt hatte. Vier Mark hatte es gekostet, und es passte in eine Hosentasche.
    Täglich unternahmen wir Ausflüge in Parks und botanische Gärten, und wenn ich genug quengelte, spazierten wir danach eine Weile durch die Einkaufsstraßen und glotzten betört in die gut gefüllten Schaufenster. Doch Mama weigerte sich strikt, die Geschäfte zu betreten, und Supermärkte mit ihrer bedrohlichen Größe kamen für sie schon gar nicht in Frage.
    »Ich gebe kein Geld aus, bevor ich es muss«, hatte sie gesagt. Wir hatten in Hamm also mehrere Kartons Milch, Butter und Marmelade angesammelt, dazu in Folie verpackte Küchlein und Schwarzbrotscheiben. Davon ließe es sich noch eine Weile leben.
    Eines Abends verkündete Papa: »Die Zeit in der Turnhalle ist vorbei. Wir werden in eine Stadt Namens ›Unna-Massen‹ verlegt.« Frau Kellermann brachte für uns in Erfahrung, dass es dort zwar keine Versorgung mit Astronautenessen gab, dafür aber Übergangswohnungen und Hilfe von Wohlfahrtsverbänden. Nach zwei Wochen Turnhallenlager klang »Wohnung« für mich so süß, dass ich mich schon in einer putzigen Villa residieren sah. In meiner Vorstellung teilte ich mir ein Himmelbett mit den Pinkelpuppen aus dem Fernsehen, in einem Zimmer, das von erdbeerduftendem Sternenstaub durchwirbelt war. Doch es sollte alles ganz anders kommen.

11.
Unna-Massen
    »Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen«, stand unter dem Stadtschild von Unna-Massen. Der Nachmittag war windstill und bewölkt, das Laub lag bewegungslos auf dem Asphalt zwischen den vielen gleich aussehenden Reihenhäusern und Wohncontainern, aus denen die Siedlung bestand, in der wir nun leben würden. Die gesamte Gegend wirkte gespenstisch und trist. Selbst die Menschen vor den Häusern kamen mir vor wie ausgeschnitten. Sie saßen draußen auf den Bänken, aber nicht gemächlich und zufrieden wie die Schiebermützen-Opas vom Lande, sondern nervös wippend, als könnte sie jederzeit etwas aus der Ruhe reißen. Genau wie wir waren die anderen Leute hier nur auf Zwischenstation, trugen verwaschene T-Shirts und zu kurze dunkle Jeans. Die Straße hieß »Auf der Tüte«. Bei der Suche nach der Hausnummer, die uns mitgeteilt worden war, grüßten meine Eltern alle, denen sie unterwegs begegneten, mit einem Nicken. Ich entschied mich, über die bedrückende Atmosphäre hinwegzusehen und mich auf die zu erwartende Geborgenheit zu freuen. Endlich wieder ein Zuhause! In meinem Kopf hatte ich längst alle Räume mit Zierschleifen und Quasten eingerichtet. Ich konnte nicht ahnen, dass die versprochene Wohnung aus einem einzigen Zimmer bestand.
    Empfangen wurden wir vor allem von einem unermesslichen Gestank. Er drang aus den bröckelnden Putzschichten der spinatgrünen Wände, an denen ein Muster aus Schimmelpilz emporkroch. Er nistete in den alten, durchgeriebenen Stuhlpolstern und im morschen Schrank, dessen Türen sich öffneten, wenn man nur an ihm vorbeiging. Die beiden Betten waren so durchgelegen und schief, dass man sich daran festkrallen musste, um nicht runterzukullern.
    Ich warf mich Mama in die Arme und schluchzte hemmungslos, die Augen vergrub ich in den Kratzhaaren ihres Pullovers. Ich konnte es nicht ertragen, meine Träume sterben zu sehen.
    »Es ist

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