Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
besten Freund. Ich habe einen Hund.«
»Aber du fürchtest dich vor niemandem. Du machst, was du willst, und du sagst, was du willst. Alle anderen hier haben Angst, sie selbst zu sein.«
Lena kratzte an dem schwarzen Nagellack an ihrem Zeigefinger. »Manchmal wünschte ich, ich wäre so wie alle anderen. Aber ich kann nicht aus meiner Haut. Ich hab’s versucht, aber ich ziehe nie die richtigen Klamotten an und sage immer das Falsche, irgendwas geht immer schief. Ich wünschte mir, ich könnte so sein, wie ich bin, und trotzdem Freunde haben, denen es nicht gleichgültig ist, ob ich in die Schule gehe oder nicht.«
»Glaub mir, es ist ihnen nicht gleichgültig. Heute war es ihnen jedenfalls alles andere als das.«
Sie lachte beinahe – aber nur beinahe. »Ich meine damit, dass es ihnen nicht egal ist, ob ich in der Schule bin oder nicht.«
Ich drehte den Kopf zur Seite. Mir ist es nicht egal.
Was?
Ob du in die Schule gehst oder nicht.
»Dann bist du tatsächlich verrückt.« Aber es klang, als lächle sie dabei, während sie dies sagte.
Ich brauchte sie nur anzusehen, und schon war es nicht mehr wichtig, ob ich noch einen Tisch hatte, an den ich mich mittags setzen konnte. Ich konnte nicht sagen, warum, aber sie und dieses überwältigende Gefühl waren wichtiger als alles andere. Ich hätte nicht tatenlos dasitzen und zusehen können, wie sie versuchten, sie fertigzumachen. Nicht sie.
»Weißt du, so ist es immer.« Sie redete zum Himmel. EineWolke schob sich vor das düster werdende Graublau.
»So bewölkt?«
»In der Schule. Für mich ist es immer so.« Sie machte eine leichte Handbewegung. DieWolke schien in die Richtung zu verschwinden, in die sie gezeigt hatte. Sie fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen.
»Es ist mir eigentlich egal, ob sie mich mögen oder nicht. Ich möchte nur nicht, dass sie mich grundlos hassen.« Jetzt hatte dieWolke die Form eines Kreises angenommen.
»Diese Idioten? In ein paar Monaten bekommt Emily ein neues Auto, und Savannah wird die Ballkönigin und Eden wird ihr Haar wieder färben, und Charlotte wird, ach, ich weiß nicht was, vielleicht ein Baby kriegen oder einTattoo oder etwas anderes, und heute wird dann längst Geschichte sein.« Ich log und sie wusste das. Lena wedelte wieder mit der Hand. Nun sah dieWolke aus wie ein eingedellter Kreis und dann fast wie eine Mondsichel.
»Ich weiß selbst, dass sie Idioten sind. Natürlich sind sie das. Allein diese blond gefärbten Haare und diese dämlichen metallicfarbenen Täschchen.«
»Genau. Sie sind dämlich. Aber wen stört das schon?«
»Mich stört es. Sie ärgern mich. Und deshalb bin ich auch dämlich. Deshalb bin ich noch viel dämlicher als dämlich. Ich bin so dämlich, wie man nur dämlich sein kann.« Sie winkte mit der Hand. Der Mond zerstob im Wind.
»Das ist das Dämlichste, was ich je gehört habe.« Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie versuchte, ernst zu bleiben und nicht zu lächeln. Wir lagen eine Minute lang so da.
»Weißt du, was dämlich ist? Ich habe Bücher unter meinem Bett.« Ich sagte das einfach so, als hätte ich es schon oft gesagt.
»Welche denn?«
» R o mane.Tolstoi. Salinger.Vonnegut. Und ich hab sie alle gelesen. Und zwar einfach, weil ich sie lesen wollte.«
Sie drehte sich auf den Bauch und stützte den Kopf auf den Ellenbogen. »Tatsächlich? Und was sagen deine Sportsfreunde dazu?«
»Na ja, ich behalte es für mich und kümmere mich dort nur um gute Würfe.«
»Ja, klar. In der Schule stehst du aber eher auf Comics.« Sie versuchte, es beiläufig klingen zu lassen. » Silver Surfer . Das hast du doch gelesen. Kurz bevor es passierte.«
Du hast das bemerkt?
Schon möglich.
Ich weiß nicht, ob wir wirklich miteinander sprachen oder ob ich mir das alles nur einbildete. Aber so verrückt war ich nun auch wieder nicht – noch nicht.
Sie wechselte das Thema, oder um genau zu sein, sie kam auf unser früheres Thema zurück. »Ich lese auch viel. Hauptsächlich Gedichte.«
Ich sah sie vor mir, wie sie ausgestreckt auf ihrem Bett lag und Gedichte las.Was ich mir weniger gut vorstellen konnte, war, dass das Bett in Ravenwood Manor stand. »Tatsächlich? Ich hab was von diesem Bukowski gelesen.«Was tatsächlich stimmte, wenn es auch nur zwei Gedichte waren.
»Ich habe alle Bücher von ihm.«
Ich wusste, dass sie über das, was geschehen war, nicht sprechen wollte, aber ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste es wissen. »Erzählst du’s mir?«
»Was soll ich
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