Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
nicht kannte, und voller Visionen, die ich nicht verstand.
Und da war noch etwas. Ich legte das Buch zur Seite und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
Lena? Du bist doch da, oder nicht?
Ich starrte an die blaue Zimmerdecke.
Es ist zwecklos. Ich weiß, dass du da bist. Ja, irgendwo hier bist du.
Ich wartete, bis ich sie hörte. Ihre Stimme, die wie ein kleiner funkelnder Gedanke in der finstersten, entlegensten Ecke meines Bewusstseins auftauchte.
Nein. Nicht wirklich .
Doch. Du warst hier, die ganze Nacht.
Ethan, ich schlafe, das heißt, ich habe geschlafen .
Ich schmunzelte.
Nein, hast du nicht. Du hast gelauscht.
Hab ich nicht!
Gib’s zu, du hast gelauscht.
Jungs! Ihr meint, alles dreht sich nur um euch. Vielleicht hat mir einfach dieses Buch gefallen?
Kannst du hierherkommen, wann immer du magst?
Eine lange Pause trat ein.
Eigentlich nicht. Aber heute Abend ist es einfach so passiert. Ich verstehe immer noch nicht, wie es funktioniert.
Vielleicht können wir jemanden fragen.
Wen zum Beispiel?
Ich weiß es nicht. Schätze, wir müssen es selbst herausfinden. Wie alles andere auch.
Wieder trat eine Pause ein. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob das »wir« sie verschreckt hatte. Vielleicht schwieg sie deshalb, vielleicht aber auch, weil sie nicht wollte, dass ich irgendetwas herausfand, was mit ihr zu tun hatte.
Versuch es nicht.
Ich lächelte, aber ich merkte, wie mir die Augen zufielen. Ich konnte sie kaum noch offen halten.
Ich versuche es.
Ich schaltete das Licht aus.
Gute Nacht, Lena.
Gute Nacht, Ethan .
Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht jeden meiner Gedanken lesen konnte.
Basketball. Ich würde einfach an Basketball denken. Und während ich im Geist an das R egelbuch dachte, spürte ich, wie mir die Augen zufielen, wie meine Glieder schwer wurden, wie ich wegdämmerte …
Ertrinken.
Ich war am Ertrinken.
Ich zappelte in dem grünenWasser und dieWellen schlugen über meinem Kopf zusammen. Meine Füße strampelten, sie suchten nach dem schlammigen Grund des Flusses, vielleicht des Santee, aber sie fanden ihn nicht. Ich sah einen Lichtschein, der auf demWasser tanzte, aber ich gelangte nicht an die Oberfläche.
Ich ging unter.
Heute ist mein Geburtstag, Ethan. Heute passiert es .
Ich streckte die Hand aus. Sie fasste nach ihr, und ich drehte mich, um sie zu packen, aber sie glitt davon, und ich konnte sie nicht festhalten. Ich wollte schreien, als ich ihre kleine weiße Hand in der Dunkelheit verschwinden sah, aber mein Mund war vollerWasser, und ich brachte keinenTon hervor. Ich spürte, wie ich würgte. Ich verlor die Besinnung.
Ich habe versucht, dich zu warnen. Du musst mich loslassen!
Ich schreckte im Bett hoch. Mein T-Shirt war klatschnass. Mein Kissen war durchgeschwitzt. Meine Haare waren feucht. Und in meinem Zimmer war es schrecklich schwül. Hatte ich schon wieder das Fenster offen gelassen?
»EthanWate!«, rief Amma. »Hörst du mir überhaupt zu? Du kommst schleunigst runter, sonst kriegst du eine ganzeWoche lang kein Frühstück von mir.«
Ich saß schon auf meinem Platz, als sie schwungvoll drei Eier auf meinenTeller mit Brötchen und Soße gleiten ließ. »Guten Morgen, Amma.«
Sie drehte mir den R ücken zu und würdigte mich keines Blickes. »Du weißt genau, dass an diesem Morgen nichts gut ist. Also tu nicht so unschuldig.« Sie war immer noch sauer auf mich, aber ich war mir nicht sicher, ob es deshalb war, weil ich den Unterricht geschwänzt hatte oder weil ich das Medaillon wieder mit nach Hause gebracht hatte.Wahrscheinlich wegen beidem. Ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Sonst hatte ich nie Ärger in der Schule. Das war etwas völlig Neues für sie.
»Amma, es tut mir leid, dass ich am Freitag mitten im Unterricht abgehauen bin. Es wird nicht wieder passieren. Alles wird wieder so sein wie sonst.«
Ihre Miene wurde freundlicher, wenn auch nur ein wenig, und sie setzte sich mir gegenüber. »Wohl kaum. Wir alle treffen unsere Entscheidungen und diese Entscheidungen haben Folgen. Ich nehme an, du wirst die Entscheidung, die du getroffen hast, teuer bezahlen müssen, wenn du in die Schule kommst. Vielleicht hörst du diesmal auf mich. Halte dich fern von dieser Lena Duchannes und von diesem Haus.«
Es war sonst gar nicht Ammas Art, das nachzuplappern, was alle in der Stadt sagten, schon allein deshalb, weil sie ohnehin meist anderer Meinung war. Aber daran, wie sie ihren Kaffee umrührte, obwohl sich die Milch schon längst
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